Beitrag von Aimee Musial
Am 8. Mai, anlässlich des Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges 1945, fand im Frauenzentrum Paula Panke ein Gespräch mit Nachbar*innen statt. Zu Gast waren Pfarrer Eike Thies von der Evangelischen Luthergemeinde Pankow von der Solidaritätspartnerschaft Pankow-Riwne (Ukraine), die seit einem Jahr das Partnerschaftsprojekt beim Bezirksamt Pankow mit der ukrainischen Stadt Riwne koordiniert. Moderiert hat das Gespräch Astrid Landero, Mitfrau im Verein Paula Panke e.V. und ehemalige Projektleitung des Frauenzentrums.
Disclaimer: Im Format Nachbarschaftsgespräch bringen wir unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Ansichten und Positionen zusammen, um gemeinsam über Themen, die uns alle bewegen zu sprechen und auszutauschen. Uns ist bewusst, dass es sich bei diesem Beitrag um ein komplexes Thema handelt. Der nachfolgende Bericht bietet ein paar Perspektiven, und soll in keinem Fall eine umfassende Reflexion des Themas darstellen.
Das Gespräch wird von Astrid eingeleitet:
„Was bedeutet der 8. Mai für dich?“
Die Ukraine, Darynas Heimat, wurde im Zweiten Weltkrieg total zerstört. Die Anerkennung dessen fehlt ihr, auch in Deutschland. Dass in der Ukraine der Feiertag vom 9. Mai auf den 8. Mai verlegt wurde, findet sie gut. Denn es ist eine Abgrenzung von Russland. Dort wird am 9. Mai gefeiert und dabei voller Stolz auf den Sieg geblickt. Die Geschichte werde glorifiziert und genutzt, um auch den aktuellen Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen, bemerkt Daryna. Für Pfarrer Eike ist der 8. Mai vor allem durch Geschichtsbücher geprägt. Die Auswirkungen des Krieges, die Fluchtgeschichten seiner Großeltern und deren Kriegstraumata, trägt er jedoch in sich. Mit Blick auf die aktuellen Kriege und das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte an vielen Orten der Welt, fragt Astrid: „Wie kann man Hoffnung schöpfen, wo ringsherum die Welt aus den Fugen zu sein scheint?“
„Mein Trotz ist meine Kraft“
Eike beschreibt, was er bei den Menschen und bei sich selbst beobachtet. Es sind Gefühle der Ohnmacht, Angst, Sorge und Depression. Ein für selbstverständlich geglaubtes Friedensgefühl ist erschüttert. Das verunsichert besonders die Jugendlichen. Als Seelsorger fängt Eike vieles auf und hört zu. Manchmal ist er jedoch selbst überfragt, woher die Energie und die Widerstandskraft kommen sollen. Aufgeben wird er aber nicht. Sein Glaube ist gespickt mit Trotz, „jetzt erst recht!“ denkt er sich und leistet Widerstand gegen das Gefühl von Ohnmacht. Er nennt das „trotzhoffend“.
Aktiv werden gegen die Angst
Daryna beschreibt ein Gefühl der Ohnmacht. Für sie fühlt es sich an „als würden täglich unbekannte Verwandte sterben“. Als Reaktion auf den Schock sucht sie nach einer Möglichkeit sich einzusetzen und Hilfe zu leisten. Die findet sie im Bezirksamt Pankow. Für die Koordination der Solidaritätspartnerschaft gab sie einen sicheren Job auf. Sie will tätig werden, denn so kann sie die Ohnmacht bewältigen. Auch die Solidarität aus der Gesellschaft, die Hilfsbereitschaft der Menschen, die sich einsetzen, Spenden vorbeibringen und Events organisieren, geben ihr Kraft.
„Zusammenkünfte und Gespräche machen uns wehrhaft“
…stimmt Astrid zu. Auch Eike erlebte in der Kirchengemeinde viel Unterstützung und Solidarität, gerade am Anfang des Kriegsausbruchs. Er fragt sich aber, wie man auch auf lange Sicht Unterstützung und Solidarität aufrechterhalten kann. Astrid sagt, „Das Schlimmste, was wir tun können, ist es, uns an diesen Krieg zu gewöhnen“. Und leider sind gefährliche politische Entwicklung nicht nur in Russland und der Ukraine zu sehen.
„Das internationale Patriachat ist wie ein stark verwundetes Tier im Wald, es schleppt sich voran, und ist in seiner Verwundung nochmal richtig stark, aber es wird zu Grunde gehen.“
Diese Methapher, gibt Astrid Hoffnung. Sie glaubt an die Vernunft, die Moderne, die Aufklärung, die gerade bei jungen Menschen wichtig sei. Daryna betont, dass es von diesem Krieg abhängen werde, wie unsere Zukunft aussehen wird, welches Zeichen es für rechtspopulistische Kräfte auf der ganzen Welt setzen wird. Gleichzeitig warnt sie vor der Kraft von Propaganda, die, sorgfältig eingesetzt, dafür sorgen kann, dass sich auf einmal Unterdrückende und Unterdrückte auf derselben Seite befinden.
Es ist auch ein psychologischer Krieg
Russland investiert Millionen für Propaganda, die Sozialen Medien sind voll von Fake News und rechtspopulistischen Überzeugungen – manchmal plakativ, manchmal subtil. Verschwörungstheorien werden skrupellos geschürt, alte Geschichten ausgepackt, Rufe „wie groß das Land doch mal gewesen sei“ werden laut, bemerkt Astrid. Auch eine Gästin äußert ihre Bedenken dazu und fordert mehr Bildung im Bereich Medienkompetenz, gerade bei jungen Leuten. Nadja von Paula Panke setzt ihre Hoffnung auf intergenerationales Lernen.
„Jede*r muss mutig sein“
Es braucht Aktionen, damit die Menschen sich nicht untätig, sondern handlungsfähig fühlen. Daryna fordert außerdem Mut von Politiker*innen, wirklich spürbare Sanktionen durchzusetzen, damit auch die russische Bevölkerung tätig wird. Denn in Russland gebe es keine Antikriegsbewegung. Es sei aber nicht nur Putins Krieg, sagt Daryna. Sie verlangt auch von der Zivilbevölkerung Mut. Gerade am ersten Wochenende nach dem Kriegsausbruch 2022, hätte sie sich mehr Protest von der russischen Bevölkerung gewünscht. „Überall gab es Proteste, nur nicht in Russland“, bedauert die Ukrainerin, „und das, obwohl viele russische Menschen Freunde und Verwandte in der Ukraine haben.“
„Kapitulation wäre ein fauler Frieden“
…meint Eike, denn „Frieden ist nicht nur die Abwesenheit von Gewalt, sondern auch Gerechtigkeit“. Astrid erinnert sich an eine Zeit als an vielen Häuserfassaden stand „Das ist nicht unser Krieg“. Eike warnt, dass so etwas schnell in die falsche Richtung gehen kann. Er findet, wir müssen die Kraft der Friedensbewegung der 1980er Jahre in die heutige Zeit übersetzen. Sich auf den Krieg einzulassen sei kein Weg, wirft eine Gästin ein, aber Militarisierung werde in unserer Gesellschaft leider immer normaler.
„Shalom gibt es im Himmel“
…so Pfarrer Eike Thies. Eine Welt ohne Gewalt sei leider unrealistisch. Wir könnten nur versuchen, sie so weit wie möglich zu begrenzen. Vollständiges Heil und Wohlergehen, ‚Shalom‘, das fänden wir danach. „Es ist eine außergewöhnliche Zeit, aber die Friedenszeit war auch nie so friedlich, wie wir sie in Erinnerung haben“, stimmt Astrid zu. Eike betont, dass es in Zeiten wie diesen wichtig sei, allen Menschen weiterhin im Einzelnen zu begegnen, und niemals aufzugeben, auch wenn das schwer ist.
„Dieser Tag, ein Jahr später. Wie könnte er aussehen?“
…fragt Astrid abschließend. Für Daryna ist das klar. Sie würde gerne den Sieg der Ukraine über Russland besprechen. Die Menschen seien am Verzweifeln. Der Krieg dauere nun schon sehr lange und habe viel Blut gekostet. „In welcher Welt wollen wir leben?“ Daryna fordert noch mehr Unterstützung für die Ukraine, vor allem von der Politik. Denn vom Ausgang dieses Krieges hängt sehr viel für uns alle ab.
Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch und bei allen Menschen, die erschienen sind. Gemeinsam wollen wir mutig und trotzig sein, und uns auch in der Zukunft gegenseitig unterstützen. Deswegen möchten wir auch auf die Aktionen der Solidaritätspartnerschaft Pankow-Riwne aufmerksam machen, die unter anderem ein Sommercamp für ukrainische Kriegsweisen und einen weiteren Spendentransport in die Ukraine plant. Hier könn ihr euch über Projekte Unterstützungsmöglichkeiten informieren: ,