Was tun gegen Femizid?, Foto: Paula Panke

Nachbarschaftsgespräch: Was können wir gegen Femizide tun?

Ein Text von Lilly Haus

 

Am 29. April 2022 wurde in Pankow die Frau und 6-fache Mutter Zohra G. auf offener Straße von ihrem Ex-Partner ermordet. Dieser brutale Femizid hat sowohl die Nachbarschaft als auch lokale Akteure und Politiker*innen erschüttert und deutlich gemacht, dass im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt noch einiges zu tun ist. Anlässlich des ersten Todestages von Zohra haben wir im Frauenzentrum zu einem offenen Nachbarschaftsgespräch eingeladen, um diesem Femizid zu gedenken und das Gespräch zu geschlechtsspezifischer Gewalt weiterzuführen.

Ein Jahr ist der Femizid in Pankow her

Lena Hennings vom Berliner Netzwerk gegen Feminizide erzählte in der Runde des Nachbarschaftsgesprächs, wie es zu der Tat vor einem Jahr kam: Zohra G. lebte nach einer Flucht aus Afghanistan mit ihren sechs Kindern und Ehemann in einer Geflüchteten-Unterkunft in Pankow. Als die Gewalt in der Beziehung immer schlimmer wurde, verließ Zohra ihren Mann und die Leitung der Unterkunft erteilte ihm ein Hausverbot. Trotz drei laufender Strafanzeigen lauerte der Ex-Mann ihr wiederholt auf, bedrohte und bedrängt sie. Einen Frauenhausplatz oder eine eigene Wohnung konnte ihr mit 6 Kindern und einem 12-jährigen Sohn nicht vermittelt werden. Am 29. April spürte ihr Mann sie dann schließlich ein letztes Mal auf und ermordete sie auf brutale Weise auf offener Straße.

Gedenkort für Zohra, Foto: Paula Panke

Offener Brief der Familie

Gemeinsam mit der jungen feministischen Organisation ZORA haben die Schwester und Cousine Zohra G.‘s einen Offenen Brief verfasst, den Franzi, eine Aktivistin der Gruppe, bei der Veranstaltung verlas. Die Familie beklagt darin, dass die Polizei viel schneller und konsequenter hätte für Zohras Schutz einstehen müssen. Nach mehreren Strafanzeigen und wiederholten Morddrohungen durch den Ex-Mann könne es nicht sein, dass sie keinen Platz in einem anonymen Frauenhaus bekommen konnte. Sie fordern unter anderem, dass jede von Gewalt betroffene Frau einen Platz in einer Schutzeinrichtung bekommt sowie eine Aufstockung der Mittel für Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen.

Berliner Polizei will sich strukurell beim Opferschutz verbessern

Beim Nachbarschaftsgespräch war auch Gabriele Andert, Polizeihauptkommissarin der Landespolizeidirektion Berlin und Verantwortliche für Koordination häusliche Gewalt und Opferschutz, anwesend. Sie räumte ein, dass es die Polizei lange Zeit versäumt hat, eine konzeptionelle Ausarbeitung des Opferschutzes voranzutreiben. Polizeiliche Sachbearbeiter*innen, die Fälle häuslicher Gewalt bearbeiteten, seien häufig mit dem großen Arbeitsaufwand überfordert und müssten gezielte Weiterbildungen bekommen. Nach dem Mord an Zohra G. habe sich ein Gremium zusammengesetzt, in dem besprochen werde, wie sich der Opferschutz von Betroffenen häuslicher Gewalt durch die Polizei strukturell verbessern könne. Allein in Berlin ist die Polizei täglich im Schnitt bei 50 Fällen häuslicher Gewalt im Einsatz.

Überlastete Hilfesysteme

Dass Frauen wie Zohra keinen Platz in einem Frauenhaus finden, ist leider kein Einzelfall, weiß Doris Felbinger, die Leiterin des BIG e.V. zu berichten. Wenn die betroffenen Frauen viele Kinder haben oder Söhne ab einem gewissen Alter sei eine Unterbringung oft nicht realisierbar. Auch nachts und am Wochenende gebe es wegen Personalmangel eine erhebliche Versorgungslücke. Elke Breitenbach (die LINKE), ehemalige Senatorin für Soziales und Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus, fügt hinzu, dass der Gewaltschutz in Geflüchteten-Unterkünften, wo Menschen auf engstem Raum mit wenig Privatsphäre leben, besonders schwer zu leisten sei. Darüber hinaus fehle es an adäquaten Zufluchtswohnungen und Frauenhausplätzen für wohnungslose Frauen und Menschen mit Behinderung.

Mit einem flächendeckenden Workshopprogramm zu geschlechtsspezifischer Gewalt an Schulen setzt BIG e.V. präventiv an um schon ab einem frühen Alter Kinder und Jugendliche für das Thema zu sensibilisieren .

Elke Breitenbach (Senatorin für Soziales a.d., links) mit dem Paula-Team, Foto: privat

Jeden dritten Tag ein Femizid

Wenn Mädchen, Frauen und als weiblich gelesene Personen aufgrund ihres Geschlechts ermordet werden, nennt man das Femizid. Nach einer Studie des BKA zu partnerschaftlicher Gewalt wird in Deutschland etwa jeden dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner umgebracht. Aber auch eskalierende häusliche Gewalt innerhalb der Familie, oder sexualisierte Gewalt können zum Femizid führen. Wenn Betroffene, wie auch Zohra, zudem von Rassismus betroffen sind und durch ein Asylverfahren oder Armut an einen bestimmten Wohnort gebunden, ist es besonders schwierig, sich aus der gewaltvollen Beziehung zu lösen.

Die Taten stehen meist am Ende einer langen Kette der Gewalt. Es ist wichtig, dass wir die verschiedenen Formen der teils subtilen Gewalt kennen, um uns oder Menschen in unserem Umfeld frühzeitig auch gefährlichen Beziehungen zu befreien. Dazu gehören psychische und verbale Gewalt, sexualisierte und körperliche Gewalt, ökonomische Gewalt, reproduktive Gewalt, queerfeindliche Gewalt, ableistische Gewalt, sowie rassistische Gewalt. Viele dieser Gewaltformen wirken in der Verschränkung miteinander und verstärken sich gegenseitig.

Eine ausführliche Dokumentation unserer Inputs zu Femizid und der Istanbul Konvention findet ihr auf unserem Youtube Kanal:

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Istanbul Konvention als rechtliche Grundlage

Die  Istanbul Konvention, eine 2011 vom Europarat verabschiedete Menschenrechtskonvention, wurde auch von Deutschland ratifiziert und ist damit rechtskäftig. Sie verpflichtet zu umfassenden Maßnahmen in allen gesellschaftlichen Bereichen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt Obwohl diese seit Februar 2023 eigentlich uneingeschränkt und rechtlich bindend gilt, ist sie nach wie vor nicht vollständig umgesetzt. So berichtete Doris Felbinger , dass es in Berlin gerade einmal halb so viele Frauenhausplätze gibt, wie nach der Konvention vorgeschrieben sei.

Akteur*innen aus Berlin kommen ins Gespräch, Foto: Paula Panke

Überparteiliche Zusammenarbeit im Kampf gegen Gewalt

Der Femizid an Zohra hat die lokalen Politiker*innen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Pankow schockiert und einige Prozesse ins Rollen gebracht. So berichteten die Angeordneten Ulrike Rosensky (SPD) und Helene Bond (B90/ die Grünen), dass die demokratischen Parteien der BVV gemeinsam einen Ausschuss ins Leben gerufen haben, der Gleichstellungsbelange überparteilich voranbringen soll. Im Rahmen des Ausschusses wurde unter anderem ein Antrag gestellt, der eine verpflichtende Quote für Zufluchtswohnungen bei Neubauten von staatlichen Wohnungsbaugesellschaften durchsetzen will. Aber auch ein besseres Informationsangebot der bestehenden Hilfestrukturen, etwa durch Flyer- und Plakataktionen in öffentlichen Orten in Pankow, ist ein Projekt des Ausschusses.

Was muss sich langfristig ändern?

Zum Abschluss der Veranstaltung wurde in Kleingruppen über die Frage diskutiert, was sich langfristig ändern muss, um femizidale Gewalt zu verhindern. Ein Punkt, der immer wieder genannt wurde, ist eine geschlechtersensible und anti-patriarchale Bildung von klein auf. Langfristig gedachte Präventionsarbeit heißt auch, Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern weiter abzubauen, sowohl durch Bildung als auch durch niedrigschwellige Öffentlichkeitsarbeit.

Langfristige Perspektiven gegen Femizide werden besprochen, Foto: Paula Panke

Auf einer institutionellen Ebene müssen Hilfestrukturen sicher finanziert werden, sowie Gerichte, Verwaltung und die Polizei gezielt im Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt geschult werden. Nicht zuletzt braucht es weiterhin Formate wie das Nachbarschaftsgespräch, damit verschiedene politische und zivilgesellschaftliche Akteur*innen miteinander ins Gespräch kommen und niedrigschwellig über das Thema aufgeklärt wird. Denn jede*r von uns kann etwas dazu beitragen, dass häusliche Gewalt vermieden wird!

Wenn Sie oder eine Person in Ihrem Umfeld von Gewalt betroffen ist, rufen Sie bitte die B.I.G. Hotline an!

Dort werden ausdrücklich auch Menschen aus dem Umfeld von Betroffenen beraten, also Nachbar*innen, Kolleg*innen, Freund*innen oder die Familie.

Die Nummer lautet 030 – 611 03 00.

Die Hotline ist an jedem Tag rund um die Uhr erreichbar.

Soforthilfe