Türkische Frauenrechtlerin Cânân Arın zu Besuch bei Paula Panke

Kristian Barkel, Julia Bartmann, Cânân Arın, Kathrin Möller, Nadja Bungard, Mitarbeiter*innen Paula Panke Bild: Paula Panke

Frauenrechtlerin Cânân Arın zu Besuch bei Paula Panke

Es war uns eine große Freude und Ehre die türkische Frauenrechtlerin Cânân Arın und Anne-Klein-Frauenpreisträgerin 2021 der Heinrich-Böll-Stiftung zu begrüßen. Gemeinsam mit einer coronabedingt kleinen Delegation der Heinrich-Böll-Stiftung Türkei besuchte Cânân Arın das Frauenzentrum Paula Panke e.V. am 9. Februar 2022. 

Cânân Arın zu Besuch bei Paula Panke

Die Begegnung und das Gespräch hatten eine sehr motivierende Wirkung auf uns Zuhörende. Sofort ergaben sich Ideen für weitere Projekte und eine gemeinsame Zusammenarbeit. Gerade in der aktuellen Situation zunehmender Gewalt gegen Frauen und einem Rückfall in alte Rollenbilder in der Corona-Pandemie ist es sehr ermutigend, Frauen wie Cânân zu erleben. Seit über 40 Jahren setzt sie sich für die Selbstbestimmung von Frauen ein. Sie ist eine der Mitbegründerinnen des ersten unabhängigen Frauenhauses in Istanbul Mor Çatı (Lila Dach) und bietet dort bis heute als Anwältin ehrenamtlich Rechtsberatung für Frauen an. Außerdem ist sie eine der Wegbereiterinnen der Istanbul Konvention und setzte sich dafür ein, dass die Türkei als eines der ersten Länder dieses internationale Vertragswerk ratifizierte. Leider hat die türkische Regierung 2021 entschieden, aus der Istanbul Konvention auszutreten mit der Begründung, dass dadurch die Familienstrukturen zerstört würden.

,,Der Verstand hat einen Weg!“

Im Laufe des Gesprächs sind die Parallelen der feministischen Arbeit des Frauenhauses Mor Çatı und des Frauenzentrums Paula Panke überdeutlich. ,,Der Verstand hat einen Weg!“, mit diesem türkischen Sprichwort erklärt die Frauenrechtlerin die Ähnlichkeiten der feministischen Arbeit beider Institutionen. Beide Organisationen wurden im Jahr 1990, in Zeiten großen gesellschaftlichen Wandels, gegründet. Cânân erzählt, dass sie zunächst nicht die finanziellen Mittel für Zufluchtswohnungen hatten, und deshalb vor allem juristischen Beistand anboten. Aber fünf Jahre später änderte sich das und Mor Çatı öffnete seine Türen für von Gewalt betroffene Frauen. Bis heute finden dort 19 Frauen und ihre Kinder Zuflucht.

Frauenorte als Bildungsstätten

Das Frauenhaus in Istanbul ist nicht nur ein Schutzraum, sondern auch eine Bildungsstätte, an der beispielsweise Fortbildungen für Mitarbeitende von staatlichen Frauenhäusern der Türkei angeboten werden. Ein Fokus liegt zudem bei der politischen Bildung von Frauen, um sie auf politische Arbeit vorzubereiten. Sie betont wie wichtig es ist, dass Frauen in der Politik Raum einnehmen. Die Juristin berichtet beispielsweise von Frauen-Koalitionen und feministischen Arbeitskreisen in der Türkei, die die Themen der Gleichstellung in den politischen Diskurs einbringen. Auch das Frauenzentrum Paula Panke ist so ein Ort, an dem Frauen sich im geschützten Raum entfalten und an dem sie niedrigschwellig Kultur- und Bildungsangebote wahrnehmen können.

Feministische Projekte von Mor Çatı

Cânân gab uns zudem einen Einblick in die feministischen Projekte von Mor Çatı. Sie erzählte von ​inklusiven Wohngemeinschaften, in denen von Gewalt betroffene Frauen gemeinsam wohnen und sich gegenseitig bei der täglichen Sorgearbeit unterstützen. Auch mit dem Thema ,,Cat Calling“ haben sich die Frauen von Mor Çatı aktivistisch auseinandergesetzt. In einer belebten Einkaufsstraße in Istanbul drehten sie den Spieß um und pfiffen Männern hinterher, um ihnen diese Form von sexualisierter Gewalt im öffentlichen Raum erlebbar zu machen. Bei einer anderen Aktion hefteten sie riesige lila Stecknadelköpfe an die Körper von Männern, die Frauen öffentlich belästigten, um so diese Grenzüberschreitung für alle sichtbar zu machen und auf die Männer auf ihr übergriffiges Handeln hinzuweisen.

Rückschritte der Frauenbewegung

Wir haben uns über die Retraditionalisierung in der Corona-Pandemie unterhalten, die auch die Gewalt an Frauen weltweit verstärkte. Die vorhanden Hilfesysteme reichen in dieser Situation nicht aus. Cânân sprach von einer weltweiten Herausforderung. Denn sie bemerkt, wie viele Errungenschaften der Frauenbewegung bereits an Bedeutung verlieren. Sie plädiert für die Aufrechterhaltung der Istanbul-Konvention, dem Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und kritisiert den Rücktritt der türkischen Regierung.

Feministisch in die Zukunft

Mit dem Sprichwort ,,Ein Verstand ist dem anderen überlegen“ begrüßt Cânân die gemeinsame Zusammenarbeit mit Paula Panke und anderen Frauenorganisationen. Sie möchte gemeinsam an Projekten, Methoden und Lösungsansätzen arbeiten und die Frauenbewegung durch Kooperation stärken. Cânân Arın setzt sich weiter für Gerechtigkeit ein. In ihrer unerschütterlichen Art gibt sie Zuversicht für eine feministische Zukunft. Denn in dem Gespräch haben wir erlebt:  Wir sind alle einem gemeinsamen Weg und arbeiten auf unterschiedlichen Sprachen und Wegen im Endeffekt am selben Ziel. Wenn wir uns bei der feministischen Arbeit immer wieder im internationalen Austausch begegnen, werden wir dem Ziel auch schneller näherkommen.

Soforthilfe