Nadja Bungard und Katrin Seidel im Gespräch, Foto: Paula Panke

Bürger*innen Sprechstunde mit Katrin Seidel

Am 17. November 2020 fand unsere erste Bürgerinnen*Sprechstunde mit Katrin Seidel von der Partei DIE LINKE statt. In einem ausführlichen Gespräch mit Nadja von Paula Panke beantwortete Frau Seidel Fragen zu Themen wie Kinder-, Jugend- und Familienförderungen, zu häuslicher Gewalt, Inklusion und musikalischer Bildung in Berlin.

Unterstützung von strukturell benachteiligten Kindern und Jugendlichen in der Coronazeit

Auf die Frage, welche Strategien es gibt, um in der Coronazeit Kinder und Jugendliche, die zuhause wenig Hilfe erfahren, zu unterstützen, erzählt Frau Seidel, dass im ersten Lockdown zu 20% der Kinder aus strukturell benachteiligten Familien kein Kontakt aufgenommen werden konnte.

Um dies in der Zukunft zu verhindern, müssen dringend multiprofessionelle Teams gestärkt und ausgebaut werden. Zudem ist es wichtig, dass das pädagogische Fachpersonal mehr Medienkompetenz erwirbt und dass eine gute digitale Ausstattung an allen Schulen vorhanden ist.

Was für Frau Seidel ebenfalls dazu gehört, alle Kinder mit mobilen Endgeräten auszustatten. Im November wurden bereits 41.500 Geräte gekauft und an Kinder verteilt. Inzwischen gibt es immer mehr Geräte zum Ausleihen, so dass der Bedarf gedeckt werden kann. Kinder dürften aber mit dem Umgang nicht allein gelassen werden.

Jedes Kind hat das Recht auf ein gutes Freizeitangebot

Auch betont Frau Seidel, dass die engen Kooperationen mit Schulen und Jugendhilfen weiter fortgesetzt werden müssen und beispielsweise weiterhin Sommer- oder Ferienschulen angeboten werden sollen. Zudem muss das Mitspracherecht von Kindern und Jugendlichen erhöht werden, sei es an Schulen oder in Jugendeinrichtungen. Kinder könnten beispielsweise eigene Hygienekonzepte entwickeln und eigene Ideen einbringen, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen möchten. Frau Seidel macht deutlich, welche wichtige Rolle dabei auch Jugendzentren einnehmen. Kinder brauchen Pausen von Schule und Familie. Es ist das Recht eines jeden Kindes und jedes Jugendlichen, ein Freizeitangebot und ein gutes Angebot außerhalb von Schulen zu haben. Kinder sind eben nicht nur Schüler*innen oder Kinder von Eltern, sondern eigene Persönlichkeiten. Gerade Jugendzentren als Freizeitorte und außerschulische Lernorte müssen daher weiter gefördert und erhalten werden.

Strategien gegen rechtspopulistische Angriffe

Gerade in den letzten Jahren sind immer wieder Jugendzentren rechtspopulistischen Angriffen ausgesetzt gewesen. Betroffene selbst können, wie Frau Seidel vorschlägt t, zunächst nur den Rechtsweg beschreiten. DIE LINKE in Berlin zeigt sich aber immer solidarisch, bleibt stets im engen Kontakt zur mobilen Beratungsstelle gegen Rechts und hat eine solidarische Resolution verfasst. Es ist hierbei wichtig, dass die politische Ebene sich offen solidarisch zeigt, Gespräche führt und Projekte weiter finanziell gefördert werden.

Was tun bei häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder?

Zu der Frage, ob es Planungen von der Partei DIE LINKE gibt, um Frauen und Kinder besser vor häuslicher Gewalt schützen zu können, betont Frau Seidel, dass auch in der Coronazeit der Kinderschutz immer aktiv und gewährleistet ist. Alle Angebote arbeiten durchgehend. In Berlin existieren ein gut funktionierendes System und Präventionsketten, sodass jedes Kind auch gesehen wird. Wichtig ist die Hotline Kinderschutz, die in der Coronazeit nochmal stark beworben wurde, die Nummer der Hotline ist 610066.
Deutschlandweit haben in der Coronazeit 3% der Frauen Gewalt erlitten. In Berlin gibt es hierfür zusätzlich zu Hilfehotlines Gewaltschutzambulanzen für Erwachsene, an die sich Frauen wenden können. Hier wird dokumentiert, dass sie Gewalt erfahren haben. Die Coronazeit erschwert allerdings die Meldung und Dokumentation der Fälle. Bei der Polizei fehlt es zudem nach wie vor an speziell geschultem Personal und einer größeren Sensibilisierung für die Thematik. Aktuell sind die Schutzräume in Berlin überfüllt. Diese müssen also dringend weiter ausgebaut werden.

Zudem sollen auch Opferbeauftragte in Berlin weiter gestärkt und die vielfältigen Beratungs- und Hilfeangebote besser und klarer strukturiert werden. Frau Seidel betont, dass alle Maßnahmen auch für alle LGBTIQ* gelten müssen und dass dafür leider häufig noch die Sensibilisierung fehlt. Außerdem müssen alle Angebote auch kultursensibel und mehrsprachig sein. Diese Maßnahmen müssen in Kooperation mit den Frauenzentren in Berlin geschehen, die in diesem Bereich wichtige Arbeit leisten.

Wie gut funktioniert Inklusion in KiTas und Schulen?

Frau Seidel kommt noch einmal auf das Thema Schulen und KiTas zu sprechen und der Frage, wieviel aktuell für eine bessere Inklusion getan wird. Sie erzählt, dass fast alle KiTas in Berlin bereits inklusiv arbeiten. Kinder mit Beeinträchtigung bekommen hier einen Status A oder B, nach denen KiTas mehr Personal anfordern können. Eine individuelle Begutachtung und Förderung sind gleichzeitig immer wichtig. Das größte Problem sieht sie im Moment in der Sprachstandsfeststellung: Eine konkrete Sprachförderung von Kindern mit Defiziten ist nach wie vor nicht gegeben.

Was bei KiTas mittlerweile relativ gut läuft, ist in Schulen nach wie vor ein großes, systematisches Problem: Noch immer sind wir von flächendeckenden, inklusiven Schulen in Berlin weit entfernt. Ein Anfang ist der Ausbau von Gemeinschaftsschulen, welche schon immer inklusiv arbeiteten. Doch gerade Gymnasien und Privatschulen unternehmen noch viel zu wenig dafür, inklusiver zu werden. Frau Seidel wünscht sich in der Hinsicht eine bessere Ausstattung aller Schulen. Bis jetzt konnte sich aber nur auf das Modell der inklusiven Schwerpunktschulen geeinigt werden, von welchen es in Berlin fast 20 Stück gibt. Frau Seidel macht deutlich, dass Schule die Aufgabe hat, sich mit jedem Kind individuell auseinanderzusetzen. Gymnasien, die Kinder aussortieren, setzen kein gleiches Recht auf Bildung um.

Wie können Schulen sicherere Orte für queere Kinder und Jugendliche werden?

Auch für queere Kinder und Jugendliche muss an Schulen noch mehr getan werden, damit diese zu sichereren Orten werden können. Frau Seidel bemerkt, dass es unbedingt verschiedene Ansprechpersonen speziell für LGBTIQ*-Kinder und Jugendliche geben muss, an die sie sich individuell wenden können. Dafür müssen professionelle Teams weiter ausgebaut werden. Gerade hier sind auch Jugendzentren wieder wichtig, die Kindern und Jugendlichen auch außerhalb der Schule die Möglichkeit geben, Ansprechpersonen zu finden, sich auszutauschen und Fragen zu stellen. Gerade ist ein neues, queeres Jugendzentrum in Arbeit, die Villa Lützow, eröffnet worden. Das Lambda gibt es bereits in Mitte und im Prenzlauer Berg.

In Bezug auf Unterstützung von Familien nennt Frau Seidel das Regenbogenfamilienzentrum in Schöneberg. Aktuell ist noch ein zweites Zentrum eröffnet worden, das sich speziell mit Fragen und Belangen von sogenannten Regenbogenfamilien auseinandersetzt.

Musikalische Erziehung muss weiter ausgebaut werden

Die musikalische Bildung von Kindern und Jugendlichen liegt Frau Seidel ebenfalls sehr am Herzen. Sie fordert, dass musikalische Frühförderung Bestandteil von KiTas sein muss und dass eine gute Kooperation mit Musikschulen dabei eine große Rolle spielt. Aktuell fehlen in Deutschland rund 30.000 Musiklehrer*innen. Frau Seidel sieht das als eine Haltungsfrage der Menschen, die Bildungspolitik betreiben: Musikalische Erziehung wird oftmals als nicht so wichtig erachtet und es wird völlig unterschätzt, wie wichtig beispielsweise Sport, Kunst und Musik für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind. Besonders an Schulen ist die Vernachlässigung der musikalischen Bildung gravierend.

Wie kann Care-Arbeit in der Coronazeit besser verteilt werden?

Auf die Frage, was die Politik beim Thema Care-Arbeit gerade im Hinblick auf die Coronasituation tun kann, erzählt Frau Seidel, dass hier gerade an vielen verschiedenen Projekten gearbeitet wird, vor allem in Bezug auf die Offenheit der Bildungseinrichtungen und die Familieninfrastruktur, aber auch im Bereich der Verbesserung der digitalen Angebote. Einen ersten wichtigen Schritt sieht sie darin, dass Alleinerziehende mit in die Systemrelevanz reingenommen worden. Ein Jugendfördergesetz wurde bereits entwickelt. Nun wird an einem Familienfördergesetz gearbeitet, das bald auf den Weg gebracht werden soll. Was ihr besonders wichtig ist, ist der weitere Ausbau von Familienzentren. Aktuell wurden 7 Mio. Euro für die Etablierung von weiteren Familienförderbüros, die sich als sehr gute familienunterstützende Infrastruktur etabliert haben, bereitgestellt. Diese bieten eine große Entlastung für Familien, gerade im Hinblick auf bürokratische Fragen. Im Januar soll auch in Pankow ein Familienförderbüro eröffnet werden. Frau Seidel betont, dass es sehr viele arme Familien in Berlin gibt. Deswegen ist eine gratis Kultur für Kinder und Jugendliche besonders wichtig. Beispielsweise gibt es das kostenlose Schüler*innenticket, gebührenfreie KiTas, kostenloses Mittagessen in den Grundschulen und Lernmittelfreiheit von Schulen für alle Kinder.

Wie sieht der Weg zu einer finanziellen Gleichstellung der Geschlechter aus?

Im Hinblick auf eine finanzielle Gleichstellung der Geschlechter betont Frau Seidel das Problem, dass nach wie vor Frauen strukturell benachteiligt sind. In Berlin gibt es mittlerweile das Landesgleichstellungsgesetz, das unter anderem vorsieht, im öffentlichen Dienst darauf zu achten, dass Frauen in Spitzenpositionen gebracht werden. Frau Seidel erzählt, dass alle Koalitionsparteien in Berlin eine Quotierung der Abgeordneten haben. Sie macht deutlich, wie wichtig es ist, in den Entscheidungsgremien die Bevölkerung zu repräsentieren, die zu 50% aus Frauen besteht. Mit gezielter Ansprache und Förderung gelangen Frauen auch in höhere Positionen. Sie bemerkt, dass traditionell Männer häufig lauter, öfter und schneller sprechen. Eine quotierte Redeliste kann dabei helfen, dieses Muster zu durchbrechen und Frauen öfter zu Wort kommen zu lassen.

Zum Schluss des Gesprächs lädt Frau Seidel alle Menschen ein, sich bei weiteren Fragen und Hinweise gerne jederzeit bei ihr zu melden und mit ihr in den Austausch zu treten.

Das komplette Gespräch mit Katrin Seidel gibt es auf unseren YouTube-Kanal zu sehen:

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