Foto: Paula Panke

„NEIN zu Gewalt an Frauen!“ Ein Gespräch mit Astrid Landero und Ksenia Sizyakova

Am 25. November ist jedes Jahr internationaler Aktionstag gegen Gewalt an Frauen. Dass es auch immer noch dringend nötig ist, über das Thema zu sprechen, zeigen allein schon die Zahlen in Deutschland:

2019 registrierte das BKA 142.000 Fälle von Gewalt in Partnerschaften in Deutschland. 80 % der Betroffenen waren Frauen. 117 Frauen starben 2019 in Deutschland durch ihre Partner oder Ex-Partner. In der Corona-Krise 2020 verzeichneten die Hilfeeinrichtungen zunehmende Fallzahlen von Gewalt in Familien, besonders gegen Frauen und Kinder.

Es ist dieses Jahr mehr denn je Zeit über geschlechtsspezifische Gewalt in einem Kontext von Abwertung und Unterdrückung von Frauen und einem absoluten Besitzanspruch durch Männer zu sprechen.

Aus diesem Anlass haben wir am Abend des 25. Novembers zwei Gästinnen eingeladen, die in dem transnationalen Projekt der filia-Stiftung „Stärkung der Zivilgesellschaft und von Frauenorganisationen“für das Frauenzentrum Paula Panke mitgearbeitet haben.

Astrid Landero, die bis März 2020 Geschäftsführerin von Paula Panke war, hat dieses Projekt von Anfang an mit begleitet. Ksenia Sizyakova als junge Feministin hat bei den Online-Workshops mitgewirkt, um eine transnationale Kampagne der Frauenorganisationen aus Armenien, Georgien, der Ukraine und Berlin zu entwickeln.

Nadja, Astrid und Ksenia im Gespräch, Foto: Paula Panke

Gewalt an Frauen ist ein strukturelles Problem

Astrid erzählt uns zu Beginn des Gesprächs, dass die Akteurinnen von Paula Panke schon seit der Gründung vor 30 Jahren am 25. November auf die Straße gegangen sind, um mit Aktionen oder Theaterstücken auf das Thema Gewalt an Frauen aufmerksam zu machen. Es war Astrid schon immer wichtig zu zeigen, dass es sich dabei nicht um ein privates oder individuelles Problem handelt. Gewalt an Frauen ist ein soziales, strukturelles und politisches Problem, das häufig heruntergespielt und bagatellisiert wird. Astrid erinnert sich, dass es gerade in der DDR ein absolutes Tabuthema war, über häusliche Gewalt zu sprechen. Gerade deswegen war es Paula Panke immer ein Anliegen, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen und somit darauf aufmerksam zu machen.

Gewalt hat viele Facetten

Gewalt beinhaltet dabei nicht nur physische Gewalt, sondern hat viele Facetten und Ausprägungen: Auch psychische Gewalt oder sprachliche und digitale Gewalt, die heutzutage vermehrt im Netz stattfinden, müssen mitgedacht werden. Bei allen Formen geht es immer um eine Herabwürdigung von Frauen und darum, dass sie als Objekte dargestellt und als menschliche Wesen völlig abgewertet werden. Astrid sieht diesen Frauenhass ganz klar als einen Ausdruck der Krise des Patriarchats und der alten Männerherrschaft. Gerade Beispiele wie das neue Abtreibungsgesetz in Polen zeigen, dass es auch immer darum geht, die Selbstbestimmung und Rechte der Frauen zu beschneiden.

Ein transnationales Projekt verbindet die Kämpfe

Astrid macht auch deutlich, dass es sich um ein globales, länderübergreifendes Problem handelt und es sich lohnt, die Kämpfe dagegen miteinander zu verbinden. Genau das passiert auch im Projekt der filia Frauenstiftung „Stärkung der Zivilgesellschaft und von Frauenorganisationen“.
Astrid erzählt uns, wie es überhaupt zu diesem Projekt gekommen ist: 2018 war Paula Panke Angriffen einer bekannten populistischen Partei in Deutschland ausgesetzt, mit denen sie sich auseinandersetzen musste. Die filia Stiftung, mit der Paula Panke schon länger kooperierte, merkte, dass es vielen feministischen Projekten, auch außerhalb von Deutschland in Osteuropa so geht.

Im November 2018 fand dann die erste Zusammenkunft mehrerer Frauenorganisationen aus Armenien, Georgien, der Ukraine und Deutschland in Kiew statt, bei dem sich die Teilnehmerinnen intensiv austauschten. Ein Jahr später trafen sie sich noch einmal, um die aktuelle Lage in den verschiedenen Ländern zu analysieren. Dabei kam es zu der Idee, gemeinsam eine transnationale Kampagne zu den Themen, die alle Projekte betreffen, zu entwickeln. Eigentlich war dafür ein Treffen in Armenien diesen Jahres geplant. Doch wegen der Corona Pandemie und dem Krieg in Armenien konnte es nicht stattfinden.

Daraufhin beschlossen die Organisationen, mit Unterstützung der Agentur Social Social eine Online-Kampagne zu entwickeln.  In der Kampagne sollte es darum gehen zu schauen, worauf sich die Akteurinnen aus den verschiedenen Ländern einigen können und wofür sie gemeinsam einstehen wollen. Schnell wurde klar, dass es trotz der häufig sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten und strukturellen Voraussetzungen auch viele Gemeinsamkeiten im Kampf gegen patriarchale Strukturen gibt.

Ksenia, die eigentlich Designerin ist, kam dann bei den Online-Workshops für die Kampagne dazu. Da Ksenia zum einen schon für Paula Panke gearbeitet hat und zum anderen in Moskau geboren wurde und somit einen Bezug zu Osteuropa hat, hatte sie gleich ein doppeltes Interesse daran, an der Kampagne mitzuwirken. Die Teilnehmerinnen der 13 Frauenorganisationen aus vier Ländern entwickelten dann in sechs Online-Terminen, geleitet von Social Social, eine Online-Kampagne.

Gemeinsame Ziele trotz verschiedener Schwerpunkte

Trotz sehr unterschiedlicher Schwerpunkte konnten sich alle auf diese gemeinsamen Ziele einigen: feministischer Diskurs, Gerechtigkeit und Rechte, Gleichberechtigung und Teilnahme, Bildung, Stoppen der Gewalt und Solidarität. An diesen Zielen wollten alle zusammen arbeiten. Als gemeinsames Ziel der Kampagne formulierten sie, den Wert der Frauenzentren für eine gesunde Demokratie zu zeigen und hervorzuheben.

Soziale Medien: Neue Möglichkeiten und neuer Hass

Alle Gruppen waren sich zudem einig darin, dass Social Media ein großes Potential für ihre Arbeit birgt. Als neue Räume, die Frauen sich erobern können, bieten sie einen niedrigschwelligen Zugang und die Möglichkeit, auch mit wenig finanziellen Ressourcen eigene Inhalte zu teilen.  

Doch Ksenia machte in dem Gespräch auch darauf aufmerksam, dass diese neu eroberten Räume nicht nur Vorteile haben: Alle Frauen haben schon mit Hate Speech schlechte Erfahrungen gemacht und sehr viel Hass im Netz erlebt. Alle berichten von fast täglichen, digitalen Angriffen auf sie und ihre Arbeit. Die Strategien, damit umzugehen, sind sehr unterschiedlich. Doch Verbündete zu finden und sich mit anderen darüber auszutauschen ist allen wichtig.

Die Strukturen hinter solchen Angriffen sind häufig ähnlich: Nicht selten werden anti-nationalistische Vorwürfe gemacht und Feminismus als nationale Gefahr konstruiert. Ksenia erzählt von einer armenischen Aktivistin, die massiv von Hate Speech und sowohl digitalen als auch physischen Angriffen betroffen war und ist. Sie gründete nach einiger Zeit auf ihrer Facebook-Seite das „Museum of Hate Speech“, in welchem sie verbale Angriffe gegen sie festhält. Sehr viele Menschen haben darauf solidarisch und positiv reagiert und sie unterstützt. Gerade deswegen ist es so wichtig zu erzählen, was einem passiert und solchen Hass öffentlich zu machen.

Frauen müssen lernen, eigene Teilhabe einzufordern

Astrid schlägt den Bogen zurück zur filia Kampagane. Auffällig war, dass in allen beteiligten Ländern eine unglaubliche Erhöhung von Frauen mit einem unglaublichen Frauenhass zusammengeht. Einerseits werden Frauen fast schon fanatisch erhöht und als etwas Besonderes dargestellt, gleichzeitig aber diskriminiert und mundtot gemacht. Ksenia erklärt, wie diese scheinbaren Gegensätze miteinander zusammenhängen: Frauen sind gesellschaftlich gesehen eben nicht gleich Frauen. Es wird stets ein Bild von der „guten“ Frau, der Hausfrau und Mutter, die sich ihrem Mann fügt und treu und ergeben ist und der „schlechten“ Frau, die einen eigenen Willen hat, aufbegehrt und Teilhabe an Macht und Entscheidungen will, konstruiert.

Die patriarchale Macht ist von den „guten“ Frauen kaum gefährdet, sondern von Frauen, die Macht und Teilhabe haben wollen. Eine typische Form des Frauenhasses ist darum auch, dass Frauen nur Beiwerk sein dürfen, aber nicht selbst mitmachen und mitentscheiden dürfen. Astrid erläutert, dass Frauen häufig nicht lernen, wie sie überhaupt eigene Teilhabe einfordern können. Genau diesen Willen gilt es aber zu wecken und zu äußern. Das führt auch zu so viel Widerstand vom Patriarchat. Sie bemerkt aber auch, dass die Härte des Kampfes und der Unterdrückung in den jeweiligen Ländern sehr unterschiedlich ist.

Angriffe und Diskriminierungen müssen öffentlich gemacht werden

Wichtig bei allen Kämpfen gegen patriarchale Strukturen ist eine Stärkung der Zivilgesellschaft sowie der Austausch und das Vernetzen von Betroffenen. Gerade bei den Angriffen auf Paula Panke 2018 war es besonders wichtig, alles öffentlich zu machen, wie Astrid betont. Viele, die persönlich angegriffen und verfolgt werden, haben natürlich Angst. Aus dieser Angst kommen wir nur heraus, wenn wir uns gegenseitig davon erzählen und uns Unterstützung suchen. Zudem kann nur durch ein Öffentlichmachen die eigene Perspektive erweitert werden.  Oftmals merkt man nicht, wie andere betroffen sind. Beispielsweise merken weiße Frauen häufig nicht, wie schwarze Frauen zusätzlich benachteiligt werden und erfahren nur durch das Mitteilen von Vorfällen davon. Soziale Netzwerke stellen dabei für Frauen einen wichtigen Raum dar, sichtbarer zu sein.

Mittlerweile gibt es auch viele Projekte und Organisationen wie beispielsweise das „dangerous speech project“, die sich mit dem Thema Hate Speech und dem Umgang damit beschäftigen. Leider müssen Frauenorganisationen immer mit Hass rechnen. Am wichtigsten ist dabei zu schauen, wie es den betroffenen Personen selbst geht und dass sie Menschen haben, mit denen sie sprechen können.  

Vernetzen und gemeinsam kämpfen lohnt sich

Auch wenn beim Entwurf der filia Kampagne viel über gemeinsame Schwierigkeiten, Hürden und Problematiken gesprochen wurde, steht für Astrid als Resümee die totale Ermutigung. Durch das Projekt wurde noch einmal klar: Wir sind nicht allein, wir haben viele Freundinnen und Aktivistinnen, die mit uns gemeinsam kämpfen und es ist eine unglaubliche Kraft vorhanden in allen Ländern. Trotz aller Angriffe in der Vergangenheit und Gegenwart blicken wir gemeinsam in die Zukunft.
Die Kampagne soll mit diesem Jahr auch nicht für beendet erklärt sein. Die Hoffnung besteht, dass im nächsten Jahr doch noch ein physisches Treffen stattfinden kann. Der Vorteil der Digitalisierung ist, dass bis dahin alle miteinander in Verbindung bleiben und immer Kontakt miteinander aufnehmen können.

Für Ksenia war auch gerade eines der schönsten Aspekte des Projekts, dass so viele neue Kontakte geknüpft wurden und neue Verbindungen entstanden: Nicht nur zwischen verschiedenen Ländern und Projekten, sondern auch zwischen verschiedenen Generationen.

Gewalt kann jede Frau treffen

Zum Schluss des Gesprächs kommen die Frauen noch einmal spezifischer auf das Thema Gewalt an Frauen zu sprechen. Astrid betont, dass wir dringend eine neue Herangehensweise brauchen: Frauen dürfen nicht immer nur als Opfer dargestellt werden. Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass Gewalt nur bestimmte Frauen betrifft. Wir müssen zeigen, dass es ein viel komplexeres Phänomen ist und es leider wirklich jede Frau treffen kann. Bildung, Klasse, Herkunft, Religion oder ähnliches hat nichts damit zu tun.

Ksenia betont noch einmal, wie wichtig es ist zu bedenken, dass Gewalt bei weitem nicht nur ein Problem von weißen cis Frauen ist. Im Gegenteil sind besonders auch queere Frauen, trans Frauen und schwarze Frauen von massiver Gewalt betroffen, die sich häufig noch einmal anders äußert.

Ein Kampf gegen Gewalt an Frauen muss also zwingend intersektional und transnational sein. Wie die filia Kampagne zeigt ist es wichtig, sich dabei zu vernetzen, sich auszutauschen und sich gegenseitig zuzuhören, Mut zu machen und Probleme gemeinsam anzugehen.

Das Gespräch komplett ansehen

Ihr könnt euch das komplette Gespräch auf unserem YouTube-Kanal ansehen:

Hilfe bei Hate Speech im Netz finden

Am Ende des Gesprächs nennt Ksenia uns noch einige Quellen, die Hilfe bei Hate Speech im Netz anbieten und darüber informieren:

https://www.ushmm.org/m/pdfs/20160229-Defusing-Hate-Guide.pdf

Mit freundlicher Unterstützung von

Soforthilfe