Der Krieg in der Ukraine und wie in unserer Gesellschaft darüber gesprochen wird, war am 7. Juli 2022 Thema in unseren Nachbarschaftsgesprächen. Mit diesem neuen Format greifen wir Themen auf, die unsere Gesellschaft spalten und bringen dazu unterschiedlichste Menschen der lokalen Zivilgesellschaft in Dialog miteinander.
Entstanden ist diese Idee aus dem Projekt „Miteinander reden“, das wir seit 2021 mit OWEN e.V. – der Mobilen Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung – durchführen. Das Nachbarschaftsgespräch „Wie reden wir über den Krieg?“ am 7. Juli wurde von Inga Luther und Marina Grasse von OWEN e.V. moderiert und wir konnten wieder sehr viel von ihrem Erfahrungsschatz im sensiblen Umgang mit verschiedensten Positionen mitnehmen.
Aus Ausrufezeichen Fragezeichen machen
Nach fünf Monaten Krieg in der Ukraine ist das Thema etwas von der öffentlichen Agenda verschwunden und das Entsetzen darüber dominiert nicht mehr so stark die Gespräche im Alltag. Aber es ist noch da: in den Familien, zwischen Freund*innen, in Teams, auf der Straße…Und es bietet Sprengstoff, weil es so existentiell ist und ähnlich wie die Corona-Pandemie grundlegende Probleme überdeutlich macht.
Häufig werden im öffentlichen und privaten Raum konträre Positionen vorgetragen und zementiert, was das gegenseitige Verstehen behindert. Menschen verschanzen sich hinter Ausrufezeichen und hören sich nicht zu. In den Workshops mit OWEN – und so auch in unserem Nachbarschaftsgespräch – ging es nun darum, die verschiedenen Perspektiven zu sammeln und den dahinterstehenden Emotionen Raum zu geben. So können aus Ausrufezeichen Fragezeichen werden. Wo Fragen gestellt werden, gibt es Chancen auf gegenseitiges Verstehen und neue Wege.



Verschiedenste Positionen zum Krieg
Dieses erste Nachbarschaftsgespräch brachte Frauen unterschiedlichen Alters und mit verschiedensten Erfahrungen zusammen. Geeint hat sie ihre tiefe Sorge über das Kriegsgeschehen und der Wunsch, sich darüber auszutauschen und etwas dagegen zu tun. Sie berichteten von Gesprächen und verhärteten Positionen, mit denen sie konfrontiert wurden.
In kleinen Gruppen tauschten dann die Teilnehmerinnen Argumente und Positionen über den Krieg aus, die sie in ihrem Alltag wahrgenommen haben. Einzelne Aussagen schrieben sie auf. Die Moderatorinnen sammelten und sortierten diese Aussagen an einer Pinnwand.
Aussagen und das Gefühl dahinter
Eine der Aussagen, die bei den Anwesenden mit die meisten Emotionen auslöste, wurde dann für die Weiterarbeit ausgewählt: „Die Ukraine sollte sich ergeben, um einen Atomkrieg zu verhindern“.
Jede hatte die Gelegenheit, sich selbst dazu im Raum zu positionieren und ihr Gefühl zu dieser Aussage zu beschreiben, ob und wie sie mit einer Person dazu ins Gespräch gehen würde. So entstand eine breite Sicht auf Positionen und Gefühlen, die nebeneinander stehen bleiben und wirken konnten.
Biografische Arbeit als Schlüssel für den Umgang mit Konfliktthemen
Dieses Vorgehen, das Aussagen unbewertet nebeneinanderstehen lässt, ermöglicht es, mit Gesprächen anzuknüpfen und gemeinsam Perspektiven zu entwickeln. Denn das ist die Erfahrung von OWEN e.V. aus ihrer langjährigen mobilen Beratung in Krisengebieten wie dem Donbass, dem Kaukasus oder in Georgien: Hinter den Argumenten, die sehr viel Konfliktpotential haben, stecken meist starke Emotionen. Diese haben sehr viel mit der Biografie der einzelnen Person zu tun. Die Methode, Argumente und Emotionen zu unterscheiden und die biografischen Erfahrungen zu verarbeiten, wird so zum Schlüssel, um mit Konfliktthemen umzugehen. Voraussetzung dafür ist der offene Raum, der Zuhören und damit Dialog erst möglich macht.
Weitere Nachbarschaftsgespräche
Ausgehend von diesen Erfahrungen werden wir weitere Nachbarschaftsgespräche organisieren, auch zu anderen Themen und offen für alle Geschlechter. Zum Ukraine-Krieg haben wir an diesem 7. Juli bereits ein weites Themenspektrum gesammelt, das wir in folgenden Gesprächen aufgreifen werden.
Die Veranstaltung ist der Auftakt zu einer Gesprächsreihe „Nachbarschaftsgespräche zum Russland-Ukraine-Krieg.“
