Stefanie-Lahya Aukongo, Bild: Paula Panke

Stefanie-Lahya Aukongo, Bild: Paula Panke

Paula Talk: „Kalungas Kind“ mit Stefanie-Lahya Aukongo

Beitrag von Rebecca Jung und Aimee Musial

Im Rahmen der Wochen gegen Rassismus las die Schwarze Autorin Stefanie-Lahya Aukongo am 21. März 2024 im Frauenzentrum Paula Panke aus ihrem Buch „Kalungas Kind“, das einen Teil ihrer Lebensgeschichte erzählt, vor. Zusammen mit Marita Orbegoso Alvarez vom Projekt MigraUp von Source d’Espoir haben wir mit Lahya über ihre Lebensreise gesprochen, die von vier Müttern, viel Heilung, der Suche nach einem Platz in der Welt, Machtgefällen, Rassismus, Kunst, Musik, Worten und Sprache geprägt ist.

Als Schwarzes Kind in Ost-Berlin

Lahya kommt 1978 in Berlin-Buch auf der damaligen Solidaritätsstation „Jacob Morenga“ zur Welt. Ihre Mutter wurde schwanger und verletzt aus einem südafrikanischen Flüchtlingscamp in die damalige DDR gebracht. Nach ihrer Genesung muss sie wieder zurück nach Namibia. Die kleine Lahya kommt zunächst mit. Aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands wird sie mit vier Jahren wieder nach Ost-Berlin geschickt und wächst in einer Pflegefamilie in Ost-Berlin in der Prenzlauer Allee auf. Sie erlebt eine behütete Kindheit mit ihren Pflegeeltern und den drei Töchtern der Pflegefamilie, die für sie wie drei Mütter sind.

Jedoch ist es ein weißes System und Umfeld, in dem sie aufwächst. Schon früh erlebt sie, als eine der wenigen People of Color im Prenzlauer Berg, Rassismus, kann diesen jedoch nicht benennen, da sie keine Worte dafür hat. Ihre Familie sagt ihr immer wieder, dass sie ihre Hautfarbe nicht sehen und dass sie Lahya so lieben wie sie ist. Ihre Pflegeeltern konnten nicht sehen, dass Rassismus System hat und es keine Einzelerfahrungen waren, die Lahya erlebte. Dass es eine Auseinandersetzung mit Rassismus und Machtstrukturen braucht, um verstehen zu können, welche Mikroaggressionen und psychische Gewalt Lahya im Alltag erfährt, erkennen ihre Eltern erst viel später. Für Lahya war es sehr schwierig, nicht benennen zu können, was sie im Alltag erlebt, zudem es auch in der Schule keine Ansprechpersonen gab.

Der Kampf um Sichtbarkeit

Lahya ist eine Schwarze, queere, von gesellschaftlicher Behinderung betroffene Frau. Sie muss ihren Platz innerhalb einer rassistischen, sexistischen, ableistischen, weißen, hetero, cis und von Männern geprägten Gesellschaft immer wieder neu finden und verteidigen. Diesen Kampf führt sie bis heute.

Warum war es uns wichtig, das Thema bei Paula Panke mit aufzugreifen?

Antifeminismus überschneidet sich in demokratiefeindlichen Ideologien mit Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Unser Ziel ist es, intersektionale Perspektiven ins Frauenzentrum zu bringen. Gerade als weiße Person ist es wichtig PoC zuzuhören und ein offenes Ohr für persönliche Erfahrungen zu haben, um aus diesen zu lernen. Denn Demokratie zu befürworten, bedeutet auch, sich aktiv gegen Rassismus einzusetzen. Dazu gehört immer wieder die eigenen Privilegien zu hinterfragen und den systematischen Rassismus in gesellschaftlichen Strukturen zu erkennen. Denn auch wenn rassistische Kommentare „nicht so gemeint“ sind, verletzen sie Betroffene. Viele Nadelstiche täglich führen auch zu Wunden, die schwer heilen.

Sind wir heute schon weiter?

Auf diese Frage und wie Lahyas Kindheit ausgesehen hätte, wenn sie 40 Jahre später geboren wäre, antwortet sie, dass es heute zumindest Räume und Sprache für diese Themen gibt. Rassismus ist ein Thema, das für viele weiße Menschen nicht sichtbar ist, weil sie nicht betroffen sind. Sich trotzdem mit eigenem rassistischem Verhalten auseinanderzusetzen, kann viel Schamgefühl auslösen, da es die eigene Sozialisation und das eigene Aufwachsen infrage stellt. Wenn es jedoch keine Auseinandersetzung mit diesem Thema gibt, kann es auch keine Veränderung in der Gesellschaft geben.

Aber was braucht Anti-Rassismus und was können Allys tun?

„Es gibt nicht die eine Checkliste oder Anleitung von Dingen, die Allys tun müssen“, antwortet Lahya daraufhin. Zuhören und verstehen ist wichtig sowie Rassismus mit allen Sinnen wahrzunehmen, diesen benennen können, sich selbst reflektieren und sich eigener Privilegien bewusst zu werden. Auch ist es zentral, offen für neue Informationen zu sein und sich umzuschauen welche Bücher, Musik, Veranstaltungen und Filme man schaut. Aus welcher Perspektive sind diese entstanden und warum ist es wichtig, intersektionale Blickwinkel zu entwickeln? „Wer bin ich ohne meine Privilegien?“, war auch eine zentrale Frage, die von Lahya ins Publikum gestellt wurde. „Diese Auseinandersetzung darf auch wehtun“, betont sie. Denn dieses System, in dem wir heute leben, wurde von weißen Menschen erschaffen. Also ist es auch zu einem großen Teil die Aufgabe von weißen Menschen, dieses System wieder aufzulösen. Es ist nicht die Aufgabe von BIPoC weiße Menschen aufzufordern, sich mit Machtstrukturen auseinanderzusetzen.

Die vielfältigen Seiten von Heilung

Lahya ist eine Person mit vielen unterschiedlichen Interessen und Talenten. Sie schreibt nicht nur Bücher, sondern töpfert, fotografiert, singt, musiziert und schreibt Gedichte. Und das nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch, Oshivambo, der Sprache ihrer Mutter, und in ausgedachten Sprachen. Sie findet immer wieder neue Stimmen und Ausdrucksweisen für ihre Erfahrungen und Erlebnisse, da es ihr Ziel ist, Kunst mit den Themen Machtkritik und Heilung zu verbinden. Besonders gerne singt sie über Dinge die fühlbar sind und die aus einer Befreiungsperspektive kommen. Lahya fragt sich beispielsweise immer wieder, welche Musik seelenberührend ist und wie sie dieses Gefühl an Zuhörende vermitteln kann. Als ihre Lieblingslebensaufgabe sieht sie es Menschen zu bewegen, sie zu inspirieren und Verbindungen herzustellen.

„Queer zu denken, Schönheit, Wissen, Erfahrungen, Macht zu definieren, Liebe „anders“ zu verstehen, an tradierten Konzepten zu rütteln, darin ist Heilung“.

Stefanie-Lahya Aukongo hat neben „Kalungas Kind“ noch zwei andere Bücher veröffentlicht: „Buchstabengefühle“ (2018) ein Buch, das kollektive und persönliche Traumata in Buchstaben verwandelt, und „Sperrlinien – Ein poetischer & künstlerischer Ausdruck in Zeiten von COVID-19“ (2020, E-Book). Außerdem hat sie einen Bachelor in Public Management & Non-Profit-Marketing sowie einen Master in Schreibpädagogik.

Am 24. Mai wird sie ein weiteres Mal bei uns sein, um den Schreibworkshop: „Zartscharfes Erzählen“ zu leiten. Hierbei wird es um Gefühle, Gesellschaft, Politik, Heilung und Trauma gehen. Davor kann man noch bis zum 19. Mai 2024 die Wanderausstellung „Solidaritätsstation Jacob Morenga“ im Museum Pankow anschauen, bei der Lahya eine der wenigen Zeitzeug*innen ist.

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