Erzählcafe Lesbisches Leben

Ulrike Hempel, Bettina Dziggel und Dr. Ursula Sillge Bild: Paula Panke

Erzählcafé: Lesbisches Leben in der DDR

In diesem Erzählcafé am 7. Juli 2021 sprachen wir im Sonntags-Club mit lesbischen Aktivistinnen der 1980er und 90er Jahre und öffneten den Raum für ihre Geschichten und den Austausch zwischen den Generationen.

Erzählcafe Lesbisches Leben
Foto: Paula Panke

Wie war es für lesbische Frauen, in der DDR zu leben? Wie haben sie es in einem  Staatssystem, das Andersdenkende und Anderslebende verfolgte oder zumindest ignorierte, geschafft, sich zu organisieren und zusammenzufinden? Über 30 Jahre nach dem Mauerfall hatten wir nun die Gelegenheit, bei einem Erzählcafé Zeitzeuginnen zu treffen, ihnen zuzuhören und zu erfahren, wie es damals wirklich war. 

Das Erzählcafé mit Bettina Dziggel, Dr. Ursula Sillge und anderen Zeitzeuginnen war mit Ulrike Hempel als Moderatorin ein weiteres Highlight der Veranstaltungsreihe Pankow ist Queer! In diesem Erzählcafé sprachen wir im Sonntags-Club in Pankow mit lesbischen Aktivistinnen der 1980er und 90er Jahre.

Outing in der DDR

Die Moderatorin führt in das Gespräch mit der Frage an die Gästinnen, wie sie die Zeit als lesbische Frauen in der DDR erlebt haben. Bettina Dziggel, eine Mitbegründerin des Arbeitskreises “Homosexuelle Hilfe” in Berlin berichtet, dass sich ihre erste Freundin vor der Öffentlichkeit sehr versteckt hat. Damit konnte sich Bettina nicht identifizieren, da sie offen mit ihrer Sexualität umgehen wollte.

Aus der Öffnung der evangelischen Kirche für die lesbische Community entstand für sie eine Möglichkeit, ihre sexuelle Identität offen zu leben. Ursula ordnet ihr Leben in der DDR im Hinblick auf das Lesbischsein eingeschränkt ein. Sie erzählt davon, wie schwer es den Menschen der Community damals mit dem Coming Out fiel und wie auch das Thema Suizid damals eine Rolle spielte.

Sie hat, um andere Lesben kennenzulernen, eine Annonce in der Zeitung aufgegeben, in der sie nach Brieffreundinnen gesucht hat. Sie organisierte unter Schwierigkeiten einen Ort für lesbische Frauen – den ,,Sonntags-Club”. Dieser hatte allerdings immer wieder Probleme Genehmigungen bei der Polizei zu bekommen. Um die Situation nochmals zu verdeutlichen, geht sie darauf ein, dass bei der Buchung eines Veranstaltungsraumes die Person, die in ihrem Namen bucht, damit rechnen musste, ins Visier der Staatssicherheit zu geraten.

Das Ostfrauenlesbencamp

Was kann mensch sich unter dem “Ostfrauenlesbencamp” vorstellen? Eine Zeitzeugin erzählt, dass das erste Camp nach der Wende in Thüringen stattgefunden hat und sie das Ostfrauenlesbencamp mit anderen Frauen aus Berlin zehn Jahre lang weitergeführt hat, in manchen Jahren mit fast 100 Beteiligten.

Erzählcafe Lesbisches Leben DDR
Bild: Paula Panke

Auf den öffentlichen Campingplätzen gab es immer wieder Widerstand von der Gesellschaft und in einem Jahr auch einen gewaltvollen Übergriff auf die Besucher*innen. Die Camps waren offen für Frauen mit Kindern jeden Geschlechts, was sie von manchen Camps im Westen unterschied, wo Mütter mit männlichen Kindern nicht anreisen durften. Außerdem gab es im Ostfrauenlesbencamp auch immer eine Kinderbetreuung, damit besonders Mütter mit kleinen Kindern mal so richtig ausspannen konnten. Obwohl sich das Camp selbstbewusst „OSTfrauenlesbencamp“ nannte, waren Frauen aus Westdeutschland ebenfalls willkommen.

Widerstände aus Politik und Gesellschaft

Wie sahen Repressalien und Zersetzungsmaßnahmen damals aus und wie wirkten sie sich auf das Leben der Aktivistinnen aus? Ursula erzählt, dass sie am Telefon abgehört wurde und auch bei Vorstellungsgesprächen vermutlich wegen ihrer Sexualität ohne Erklärung abgewiesen wurde. Aus ihrer Akteneinsicht wird für sie ersichtlich, dass sie von 15 Personen bespitzelt wurde, wegen der Verbreitung von feministischem Gedankengut. Bettina war davon überzeugt, dass ihr Aktivismus richtig und wichtig war. Sie war sich bewusst, dass sie von der Staatssicherheit beobachtet wurde, ging das Risiko aber aus politischer Überzeugung ein. Ihre Organisation war basisch demokratisch organisiert, daher war es für die Staatssicherheit nicht möglich, die Verantwortlichen festzustellen.

Feminismus in der DDR

Auch die frauenpolitischen Themen in der DDR werden im Erzählcafé aufgegriffen, als die Moderatorin nach der politischen Situation fragt. Ursula führt dazu aus, dass Frauen in der DDR das Recht auf Arbeit hatten und auch die Möglichkeit zur Kinderbetreuung war gesetzlich geregelt. Frauen wurden angehalten, Berufe zu erlernen, die zunächst von Männern dominiert waren. 

Erzählcafe Lesbisches Leben DDR
Foto: Paula Panke

Auch außereheliche Kinder waren in den 1960er Jahre gleichberechtigt in der DDR. Bettina nimmt eine kritischere Perspektive ein und geht auf den Kräftemangel in der DDR ein und begründet damit den Prozess der ,,Gleichberechtigung” in der Lohnarbeit.

Wir haben in diesem Erzählcafé einen differenzierten Einblick in das lesbische Leben in der DDR erhalten. Die Erfahrungsberichte der Frauen machen deutlich, dass es nicht leicht war, in der DDR offen und frei als lesbische Frau zu leben. Die Zeitzeuginnen haben gezeigt, dass eine sexuelle Vielfalt dennoch gelebt wurde, trotz politischer Repressionen. Sie haben Wege gefunden, ihre Identität frei und offen zu leben, in einer Zeit, in der dies nicht leicht war. Sie haben mittels der Art und Weise des Zusammenhaltens und der Solidarität viel für die lesbische Community erreichen können.

Es ist wichtig sich auch heute noch an die Situation der Frauen in der DDR zu erinnern, da wir einiges von den Zeitzeug*innen lernen können. Wir haben gesehen, dass queere Frauen laut sein und Raum einnehmen müssen, denn offen gelebte Repräsentation ist der erste Schritt, um die Gesellschaft für jegliche Formen von Lebensrealitäten zu sensibilisieren.

Das Erzählcafé kann im YouTube-Kanal von Paula Panke angesehen werden:

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