Am 8. Mai 1945 kapitulierte die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland bedingungslos. Das Tausendjährige Reich war nach nur 12 Jahren an sein Ende gekommen und hinterließ neben einer Spur der Verwüstung in Europa viele Millionen Tote und noch mehr Verletzte. Um dieser Menschen zu gedenken, haben wir über einige Schicksale gesprochen, vor allem über die, an die meistens nicht erinnert wird: Frauen und TINA* Personen.
Im Gespräch begegneten sich unsere Projektkoordinatorin Nadja Bungard und Dr. Joanna Szkolnicka vom Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Pankow. Joanna ist eine polnische Historikerin und forscht zur Sozial- und Kulturgeschichte Ost- und Westpreußens mit einem Fokus auf Frauengeschichte. Beide stellten Frauenschicksale vor und zeigten, wie die nationalsozialistische Diktatur ihre Lebenswege radikal veränderte oder sogar abschnitt.
Gesellschaftsbild im Faschismus und Nationalsozialismus
Einführend ordnen sie erstmal die Begriffe Faschismus und Nationalsozialismus ein:
Der Begriff Faschismus beschreibt eine autoritäre, nationalistische und antidemokratische Ideologie. Sie ist geprägt von Führerkult, Freund-Feind-Denken und einer gewaltsamen Unterdrückung von Andersdenkenden. Die Ideologie des Nationalsozialismus ist eine besonders extreme Form des Faschismus mit radikalem Rassismus, Rassenlehre und Antisemitismus. Folgende Bereiche der Gesellschaft haben sie sich angesehen, um die Lebenssituation von Frauen und TINA* Personen in Diktatur und Krieg besser zu verstehen: Familie, Bildung und Beruf, soziale Teilhabe, überleben im Krieg sowie Flucht, Vertreibung und Kriegsende.
Familien zwischen Mutterschaft und Zwangssterilisation
Im Familienleben zeigt sich, wie sehr das alltägliche Leben von Frauen und TINA* Personen vom Nationalsozialismus verändert wurde. Frauen, die den rassistischen Vorstellungen der Nazis entsprachen, sollten vor allem eins: Kinder gebären. Abtreibungen waren streng reglementiert. Sie wurden auf die traditionelle Rolle als Mutter und Hausfrau reduziert, die Mutterschaft idealisiert und ab 1939 mit einem Mutterkreuz belohnt.
Die Ideologisierung von Mutterschaft führte auch zu kriminellen Auswüchsen und menschenverachtendem Verhalten bei deutschen Frauen wie Karoline Rascher. Sie täuschte Schwangerschaften vor, um aus Sicht der SS heiratsfähig zu sein, und organisierte mit ihrer Cousine eine Art „Kinder-Tausch-Ring“. Dabei nahm sie Kinder lediger Mütter in Pflege und adoptierte sie einfach. Offiziell hatte sie vier Kinder, weitere waren involviert. Die Identitäten der Kinder konnten später nicht mehr zweifelsfrei ermittelt werden. (Quelle: Anna Maria Sigmund, Die Frauen der Nazis II, München 2002, S. 267 ff.)
Lebensborn und Zwangssterilisation
1935 gründete Reichsführer SS Heinrich Himmler den Verein Lebensborn, um „rassisch und erbbiologisch wertvolle“ ledige Mütter und ihre Kinder zu unterstützen, Abtreibungen zu verhindern und die Geburtenrate zu steigern. Im Krieg entwickelte der Verein ein bevölkerungspolitisches Programm der Zwangsverschleppung und Zwangsgermanisierung nicht-deutscher Kinder, die ihren rassischen Vorstellungen entsprachen. Das betraf ca. 50.000 Kinder aus Polen, Weißrussland, der Ukraine, Tschechien und Slowenien. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)
Personen dagegen, die von den Nationalsozialisten als „rassisch minderwertig“ und als „Menschen zweiter Klasse“ markiert waren, erlebten eine gegenteilige Behandlung. Jüd*innen, Zwangsarbeiter*innen, Sint*izze und Rom*nja, Kriegsgefangene und Menschen mit Behinderung lebten unter unmenschlichen Bedingungen in Lagern und wurden zu Zwangsarbeit genötigt. Personen, die als „erbkrank“ galten, wurden bereits ab 1934 zwangssterilisiert. Diese Einordnung konnte sehr schnell und dafür einschneidend passieren. Im Jüdischen Krankenhaus in Berlin wurde beispielsweise ein 16jähriges Mädchen aus einem Erziehungsheim zwangssterilisiert. Begründung:
"Sie trieb sich bis spätabends mit Jungens herum (..., da sie) infolge ihrer geringen geistigen Entwicklung das Verwerfliche ihres Verhaltens nicht einzusehen vermocht..."
Allein in den Jahren 1934 und 1935 starben etwa 400 Patientinnen nach einem solchen Eingriff in diesem Krankenhaus. (Quelle: Ronen Steinke, Der Muslim und die Jüdin, München 2019, S. 52/53)
Zwangsabtreibungen und Bordell-Baracken
Ein Viertel der Schwangerschaften von Polinnen und Ostarbeiterinnen wurde durch Zwangsabtreibungen beendet. Es gab auch Entbindungslager für Zwangsarbeiterinnen wie das der Reichsbahn in Berlin-Karow. Sie arbeiteten bis kurz vor und bereits wieder drei Wochen nach der Entbindung. Es gab Kinder, die bei ihren Müttern blieben, wie Ljubow Abaschina. Ihren genauen Geburtsort hat sie nie erfahren, ihren Vater nie kennengelernt. Die Mutter sprach nicht über diese Zeit. (Quelle: Ausstellung Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Niederschöneweide)
Ab Juni 1943 veranlasste das Reichssicherheitshauptamt, dass Kinder, die „wie deutsche Kinder“ aussahen oder einen deutschen Elternteil hatten, nach der Stillzeit in besondere Pflegeheime kamen. Sie sollten zu „Deutschen“ erzogen und dann für die Adoption an deutsche Paare freigegeben werden. Kinder, die als nicht „gutrassig“ beurteilt wurden, kamen in Ausländerkinder-Pflegestätten, wo sie vorsätzlich schlecht versorgt und unterernährt wurden. Die Sterblichkeitsrate lag zwischen 25 und 50 %. Zehntausende Kinder verhungerten. Die Beerdigungskosten von 15 RM wurden den mittellosen Müttern in Rechnung gestellt. Seit 2014 gibt es den Gedenkort Steine ohne Grenzen für die verstorbenen Kinder von Zwangsarbeiterinnen aus der Zeit zwischen 1940 bis 1945 in Berlin-Buch in der Hobrechtsfelder Chaussee an der Grenze zwischen Buch und Panketal. (Quellen: NS Zwangsarbeit Dokumentationszentrum, Bundesarchiv, Amt für Weiterbildung und Kultur – Museum Pankow)
Um intime Kontakte zwischen Ausländern und deutschen Frauen zu verhindern, errichteten NS-Behörden sogenannte Bordellbaracken. Bis 1943 wurden 600 Prostituierte für 60 Bordelle aus besetzten Ländern verschleppt und zu Zwangs-Sexarbeiterinnen gemacht. Die Ausstellung „Missing Female Stories“ 2024/25 im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Niederschöneweide widmete sich diesem Thema, auch mit künstlerischen Performances, da Zeitzeuginnen-Berichte fehlen.
(Quelle: Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Niederschöneweide)
Berufs- und Bildungschancen bei Dienstpflicht und Zwangsarbeit
Deutschen Frauen, die keiner rassistischen oder ableistischen Diskriminierung ausgesetzt waren, erlebten mit dem Beginn der Herrschaft des Nationalsozialismus massive Einschränkungen in den Bereichen Bildung und Beruf. Ab 1933 war der Schulunterricht für Mädchen eingeschränkt und vor allem auf Hauswirtschaftslehre und Körperertüchtigung ausgerichtet. An Hochschulen wurden nur noch 10 % Frauen und TINA* Personen zugelassen. 1934 nahmen nur 5 Prozent dieser Personengruppe ein Studium auf. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)
Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde der Staatsapparat nicht nur von „nicht-arischen“ und politischen Gegnern „gesäubert“, sondern verheiratete Frauen verloren ihren Job, wenn ihr Mann einen hatte. Lehrerinnen an Gymnasien wurden durch Männer ersetzt und auch Richterinnen wurden für das Amt nicht mehr zugelassen. Das änderte sich mit Beginn des Krieges. Ab 1938 wurde in Geheimen Richtlinien zur Beschäftigung von Frauen im Notfall das Pflichtjahr für ledige Frauen unter 25 Jahren eingeführt und ab 1939 die Dienstpflicht v.a. in der Rüstungsindustrie, im Kriegshilfsdienst, im Reichsarbeitsdienst und als Wehrmachthelferinnen. Der Mangel an Nachwuchs war durch den Krieg auch an den Universitäten so greifbar, dass die Zugangsregelungen für Frauen gelockert wurden. Beispielsweise entschied sich Hildegard Hamm-Brücher 1939 bei einem Appell spontan für das Studium der Chemie, um der Arbeitsdienstpflicht zu entkommen. Sie war einige der wenigen Abiturientinnen des Lagers und nutzte diese Chance. (Quelle: Hildegard Hamm-Brücher: Freiheit ist mehr als ein Wort. Eine Lebensbilanz. München 1997, S. 50)
Anders sah das für Frauen und TINA* Personen aus, die aus rassistischen Gründen ausgegrenzt und verfolgt wurden. Die Berliner Abiturientin Marie Jalowicz musste ab Frühjahr 1940 Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie leisten.
„…wir waren den ganzen Tag wie an der Drehbank festgeschraubt (…) der sogenannte Schlitten der Maschine wurde mit der Hüfte gehalten und bewegt. Man bekam ständig neue blaue Flecke (…) für Nichtjuden wäre es gesetzeswidrig gewesen, ohne Arbeitsschutz an so einer Drehbank zu stehen. (…) Es war eine sehr harte, körperliche Arbeit. Noch schlimmer aber waren der Stumpfsinn und die Wiederholung derselben Handgriffe (…)."
(Quelle: Marie Jalowicz-Simon: Untergetaucht. Frankfurt am Main 2014, S. 43)
Auch im Berufsleben zeigt sich die Rassenideologie. Frauen und TINA* Personen aus ganz Europa wurden zur Zwangsarbeit verschleppt. Unter schweren und teils gefährlichen Bedingungen mussten sie arbeiten und bekamen dabei kaum oder gar keinen Lohn. Unterschiede wurden hierbei zwischen Westeuropäer*innen und Ostarbeiter*innen gemacht, wobei auch polnische Arbeiter*innen gesondert betrachtet wurden. Allein im Raum Berlin gab es ca. 3000 Zwangsarbeitslager. Rund 26 Millionen Menschen arbeiteten in der NS-Zeit unfreiwillig in Deutschland. (Quelle: Ausstellung Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Niederschöneweide)
Soziale Teilhabe und sozialer Aufstieg im System
1933 verloren Frauen und TINA* Personen das passive Wahlrecht, das sie erst 1918 erstritten hatten. Ihnen wurde auch die Mitgliedschaft in der Parteiführung und in leitenden Ausschüssen verwehrt. Die ranghöchste Frau im NS-Staat war Gertrud Scholtz-Klink. Sie war Leiterin der NS-Frauenschaft und des Deutschen Frauenwerkes, hatte aber keine politische Entscheidungsgewalt. Ihre Hauptaufgabe war die Verbreitung des nationalsozialistischen Frauenbildes: die Frau als Hausfrau, Mutter und Hüterin der „Volksgemeinschaft“.
Es gab weitere Frauen, die das System des Nationalsozialismus für sich nutzten und zu Mittäter*innen wurden. Die Arbeit als Aufseher*in war eine „Karrierechance“. Sie stiegen im Rangsystem innerhalb der Konzentrationslager auf und übten Macht über Inhaftierte aus, beispielsweise Ilse Koch, bekannt als „Hexe von Buchenwald“, Irma Grese in Ravensbrück oder Elisabeth Volkenrath in Auschwitz. Sie beteiligten sich an Gewalttaten, den Selektionen und trugen zu den unmenschlichen Lagerbedingungen bei. Einige wurden nach dem Krieg strafrechtlich verfolgt.
Verbotene Beziehungen
Lesbische und andere nicht heteronormative Liebesbeziehungen wurden kriminalisiert. Auch Beziehungen zwischen jüdischen, polnischen und deutschen Menschen wurden aus rassistischen Gründen streng verboten. Doch Liebesbeziehungen dieser Art gab es immer wieder.
Beispielsweise wurde 1942 der polnische Zwangsarbeiter Leon Szczepaniak im rheinhessischen Elsheim wegen seiner Liebesbeziehung zu der Deutschen Margarete Hess hingerichtet. Sie wurde „von einem Sondergericht in Mainz wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen und weil sie ‚ihr Deutschtum und ihre Frauenwürde vergessen‘ (hatte) zu anderthalb Jahren Zuchthaus verurteilt.“ (Quelle: Porta Polonica)
Dr. Joanna Skolnicka erzählt, dass im Falle einer intimen Beziehung von deutschen und polnischen Personen der polnische Part bestraft und häufig hingerichtet wurde. Bestrafung war jedoch nicht nur durch die Nationalsozialisten zu erwarten. Auch die „Heimatarmee“, die größte Widerstandsgruppe Polens, bestrafte polnische Frauen, wenn diese Affären mit deutschen Männern eingingen.
Widerstand und Überleben im Krieg
Einige Frauen und TINA* Personen wurden Mittäter*innen. Andere litten unter Zwangsarbeit und überlebten nur mit Glück. Wieder andere wehrten sich wie Ella Kay. Sie arbeitete bis 1933 im Jugendamt von Prenzlauer Berg, wurde dann entlassen. Mit Gelegenheitsjobs musste sie sich über Wasser halten. Auf ihrem kleinen Wochenendgrundstück in Köpenick trafen sich einstige Genossen aus dem Prenzlauer Berg. Ihre Aktivitäten galten ganz besonders der Hilfe für Familienangehörige von Verfolgten, Verhafteten und Flüchtlingen ins Ausland.“ (Aus: SpurenSuche. Frauen in Pankow, Prenzlauer Berg und Weißensee; Bezirksamt Pankow 2006, S. 86)
Wieder andere versuchten ein normales Leben zu leben – so normal wie es eben zwischen Luftangriffen und Rassenideologie möglich ist. Sie verliebten sich, arbeiteten, trieben Sport und gingen ins Kino. Ein Beispiel ist Brigitte Eicke, die als 16-jährige 1943 tägliche Tagebucheinträge beginnt, um die Stenografie-Schrift für ihre Lehre zu üben. Sie wohnt in Berlin-Prenzlauer Berg und arbeitet am Hackeschen Markt. Am 23. März 1945 schreibt sie:
„Um 9 Uhr im Geschäft. Luftwarnung von ¼ 2 – ½ 2 Uhr mittags. Nach Hause musste ich laufen. Abends mit Kuzi spazieren gegangen und Wasser geholt. Von Kurt habe ich einen wunderschönen Brief bekommen. (…) Mit Margot war ich heute im Kino (…) Fliegeralarm von ¼ 12 – 12 Uhr abends.“
Zwangsarbeiter*innen waren bei Luftangriffen auf Berlin weniger geschützt als die Zivilbevölkerung. Am 4. September 1943 starben 20 junge polnische Zwangsarbeiterinnen der A.E.G. bei einem Bombenangriff in der Grenzstraße 16 in Berlin-Wedding. Eine Gedenktafel auf dem Parkfriedhof in Marzahn erinnert an sie.
Es finden sich dort auch viele weitere Denkmäler für Opfer von Krieg und Faschismus.
Die, die nicht von rassistischen Einschränkungen betroffen waren, versuchten die Lebensfreude zu erhalten und blendeten die Übergriffe auf ihre Mitmenschen aus. Doch für alle war der Alltag lebensgefährlich: Wasser holen, nach Lebensmitteln anstehen, in Ruhe schlafen…
Inge Müller, Jahrgang 1925, war 1945 als Wehrmachthelferin einberufen worden. Nach einem Luftangriff im April 1945 war sie drei Tage lang in einem Keller des Hauses Senefelder Str. 6 in Berlin-Prenzlauer Berg verschüttet. Später schrieb sie dazu ein Gedicht:
"Als ich Wasser holte fiel ein Haus auf mich
Wir haben das Haus getragen
Der vergessene Hund und ich.
Fragt mich nicht wie
Ich erinnere mich nicht.
Fragt den Hund wie."
(Quelle: Sonja Hilzinger, Das Leben fängt heute an. Inge Müller. Biografie. Berlin 2005, S. 41)
Sie konnte diese Erlebnisse nicht vergessen, litt ihr Leben lang darunter und nahm sich mit 41 Jahren das Leben.
Jüdische Personen und andere verfolgte Gruppen versteckten sich teilweise über Jahre hinweg. Das gelang nur wenigen. Eine von ihnen war Marie Jalowicz-Simon. Sie tauchte drei Jahre lang unter, besorgte sich gefälschte Papiere, suchte und fand Orte und Menschen, die ihr halfen. Sie war vogelfrei und dem Wohlwollen ihrer Mitmenschen ausgeliefert. In einer Familie kam sie beispielsweise als Pflegehilfe unter.
„Eine Verpflegung war nicht vereinbart. So hungerte ich schrecklich. (…) Die Großmutter (…) misstraute mir von Anfang an. Einmal (rief sie): ‚Schwester, ich möchte ein Stullechen.‘ In der Küche lag ein wundervolles Schwarzbrot, dessen Duft mir so sehr in die Nase stieg, dass ich Angst hatte, verrückt zu werden. Ich musste dieser alten Frau eine Scheibe nach der anderen schmieren, es waren mindestens vier. Ihrer Enkeltochter erzählte sie anschließend, sie habe nur zwei Stullen gegessen. Und so fiel ich in den Verdacht, Lebensmittel zu stehlen.“ (S. 181)
Aber auch sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungen war sie ausgesetzt, sogar durch den Mann ihrer Tante. Sie schaffte es durch Geistesgegenwart, Überlebenswillen und Glück am Leben zu bleiben.
Flucht, Vertreibung und Kriegsende
Nach Kriegsende fühlten sich viele Frauen allein und zurückgelassen. Viele Männer kamen nie aus dem Krieg zurück. Die, die zurückkamen, waren oft aggressiv oder litten unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Zurück blieben die Frauen und TINA* Personen, die für das Überleben sorgen und ihre Kinder allein erziehen mussten.
Wibke Bruhns schreibt über ihre Mutter Else: „Ihr Mann, der Vater ihrer fünf Kinder, war beteiligt am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 gewesen und wurde hingerichtet in Plötzensee wegen Hochverrats. Die Familie war nicht nur bei den Nazis stigmatisiert als Verräter. Weit nach dem Krieg noch galten 20.-Juli-Attentäter als Regisseure des Dolchstoßes. Else hatte kein Geld, die Nazis hatten das Vermögen kassiert. Selbst die Kosten für die Hinrichtung – die kamen per Rechnung! – hatte sie sich leihen müssen. Das Kriegsende war für die Familie, wie für Millionen anderer Familien auch, teuer gewesen: Konkurs der Firmenklitsche im Niemandsland diesseits der ostwest-deutschen Grenze. Schulden, Wohnungsprobleme. Gerichtsvollzieher (und das ihr (hier?)!) in Braunschweig. Alle Kinder in der Ausbildung, jedes einzelne der Zuwendung und Aufmerksamkeit bedürftig. Und wer kümmerte sich um Elses Tränen, tröstete sie in ihrer Einsamkeit?“ (Aus: Wibke Bruhns, Nachrichtenzeit. Meine unfertigen Erinnerungen, München 2012, S. 30)
Mit dem Kriegsende begannen außerdem die Vertreibung durch die Russen bzw. die Flucht vor ihnen. Auch hier litten Frauen und TINA* Personen besonders. Viele Frauen wurden von russischen Soldaten vergewaltigt und wie eine „Kriegstrophäe“ betrachtet.
"Die Soldaten bezogen für einige Tage in Malkwitz Quartier. Frauen und Mädchen waren ihnen ausgeliefert, selbst Neunjährige blieben nicht verschont. Wer konnte, versteckte sich dort, wo die sowjetischen Soldaten nicht hinkamen. Erika, Leonie und ihre beide Cousinen Hertha und Helga kletterten auf den Oberboden im Spitzgiebel der Scheune. Man hatte Strohsäcke dorthin geschafft, auf denen die Mädchen nur kauern und liegen konnten"
(Schlesien. Ich war weder zu jung noch zu erwachsen, hrsg. Ingeborg Jacobs, Freiwild. Das Schicksal deutscher Frauen 1945, Berlin 2008)
Marion Gräfin Dönhoff, die auf einem Pferd floh, beschreibt in ihrem Buch „Namen, die keiner mehr kennt“ ihre Erfahrungen so:
„Wir reihten uns ein in diesen Gespensterzug und sahen die ersten Toten am Weg liegen. Niemand hatte die Kraft, die Zeit oder die Möglichkeit, sie zu begraben. (…) Und nicht nur im Nordosten; schon seit dem vergangenen Herbst die gleichen Bilder im Südosten Deutschlands: Trecks und wieder Trecks. Aus Bessarabien, dem Banat, aus Siebenbürgen und der Batschka, aus uralten deutschen Siedlungsgebieten wälzten sich diese Elendszüge westwärts. Hinter ihnen brannte die Heimat, und wer sich entschlossen hatte zu bleiben, den hatte sein Schicksal längst ereilt. 700 Jahre Geschichte auch in Siebenbürgen ausgelöscht.“ (Marion Gräfin Dönhoff, Namen, die keiner mehr kennt; Hamburg 2010, S. 42)
„Seid Menschen!“
Dieser Satz der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer ist das Einzige, was uns als Gradmesser in gewaltvollen Zeiten dienen kann.
Veranstaltungen wie diese sind wichtig, um historische Erfahrungen sichtbar zu machen und daraus Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen. Die gezielte Kontrolle über den weiblichen Körper im Nationalsozialismus war Teil einer ideologischen Struktur, die auf Ausgrenzung, Ausbeutung und Gewalt basierte.
Diese Formen der Kontrolle sind kein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte. Auch heute werden körperliche Selbstbestimmung und reproduktive Rechte infrage gestellt – in verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Kontexten.
Das zeigt: Frauenkörper sind nicht nur individuell, sondern auch politisch. Deshalb ist es notwendig, aufmerksam zu bleiben und Entwicklungen kritisch zu begleiten. Deshalb ist unser Appell auch: Werdet laut! Gern mit unserer Unterstützung.