Lesung & Gespräch: Femizide in Deutschland

Lesung & Gespräch: Femizide in Deutschland Fotos: Paula Panke

Gespräch: „Femizide in Deutschland“ mit Gisela Zimmer

 

Erst seit 2020 steht der Begriff „Femizid“ im Duden, dem Standardwerk der deutschen Sprache, und gelangte damit mehr ins öffentliche Bewusstsein. Seither wird seltener von „Beziehungstat“ in der Berichterstattung geschrieben, sondern von „Femizid“. Allgemein bekannt ist er dadurch noch lange nicht und erst recht nicht seine tiefgreifende strukturelle Bedeutung.

Femizid beschreibt die Tötung von Frauen* und Mädchen als extremste Form geschlechtsbezogener Gewalt. Allerdings fehlt in Deutschland eine rechtsverbindliche Definition für den Begriff. Die Erweiterung Feminizid zeigt zusätzlich die strukturelle Verankerung dieser Taten in einer Gesellschaft und macht die Verantwortung von Staat und seinen Institutionen deutlich.

Lesung mit Gisela Zimmer im Frauenzentrum Paula Panke

Am Vorabend des 25. November 2025, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen* und Mädchen, war die Journalistin und Autorin Gisela Zimmer im Frauenzentrum Paula Panke zu Gast. Sie hat 2020 für die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Broschüre mit dem Titel „Femizide in Deutschland – (k)ein Einzelfall“ verfasst, die bereits in dritter Auflage vorliegt und hier als PDF abgerufen werden kann.

„Uns ging es bei der Broschüre darum, über Femizide leicht verständlich und in kurzer Form zu informieren“, erzählt die Autorin. Denn Häuslicher Gewalt beginnt mit psychischer Gewalt sowie sozialer, finanzieller oder reproduktiver Kontrolle. Wichtig ist, dass Betroffene missbräuchliche Situationen erkennen können und Wege kennenlernen, sie zu verlassen.

An diesem Abend müssen wir öfter unterbrechen und Luftholen, weil die verübte frauenfeindliche Gewalt schwer auszuhalten ist, aber mitten in unserer Gesellschaft täglich stattfindet und von verantwortlichen Behörden zu wenig ernst genommen wird.

Von Gewalt Betroffene werden nicht ernst genug genommen

Das ist auch die Erfahrungen der Sozialarbeiterinnen von Paula Panke e.V., die Betroffene in den Zufluchtswohnungen betreuen. „Jugendamt, Jugendhilfe und Gerichte sind zu wenig im Umgang mit von Gewalt betroffenen Frauen* und Kindern geschult. Deren Gewalterfahrungen werden nicht ernst genug genommen. Dadurch bleibt die gewaltvolle Struktur erhalten und potenziell gefährlich“, erzählt eine Sozialarbeiterin. „Beispielsweise spielt beim Clearing-Prozess im Jugendamt gar keine Rolle, dass eine Frau mit ihren Kindern wegen Häuslicher Gewalt die Familie verlassen hat und in einer Zufluchtswohnung lebt.“

Umgangsrecht vor Recht auf körperlicher Unversehrtheit ist problematisch

Diese Haltung setzt sich leider bei gerichtlichen Entscheidungen fort: Das Umgangsrecht der gewalttätigen Partner steht oft über dem Recht auf körperliche Unversehrtheit der betroffenen Partnerin und deren Kinder (https://www.frauenhauskoordinierung.de/arbeitsfelder/umgangsrecht-und-gewaltschutz).

Diese Begegnungen in Trennungsphasen sind die gefährlichsten für betroffene Frauen* und deren Kinder. Gisela Zimmer zitiert aus dem Buch „Femizide. Frauenmorde in Deutschland“ von Julia Cruschwitz und Carolin Haentjes ein Beispiel, bei dem der gewalttätige Partner das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder behält, als die Partnerin wegen häuslicher Gewalt im Krankenhaus versorgt werden muss. Zwei der drei Kinder überleben das nicht. „Deutschland braucht dringend ein koordiniertes Vorgehen der Behörden in Fällen Häuslicher Gewalt. Spanien kann da ein gutes Vorbild sein“, sagt Gisela Zimmer und zitiert die Maßnahmen, die in Spanien ergriffen wurden aus der Broschüre.

Geschlechtsspezifische Gewalt ist kein Randphänomen

Dass Femizide kein Randphänomen sind, verdeutlichen die Zahlen: fast täglich wird eine Frau oder ein Mädchen im Kontext geschlechtsspezifischer Gewalt getötet. (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/11/lagebild-gewalt-gg-frauen.html).

Vulnerable Gruppen wie Queers, Menschen mit Behinderung, PoC’s, Obdachlose oder migrantische Personen sind überproportional von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen.

In Berlin fehlen, gemessen an Vorgaben der Istanbul Konvention rund 500 Frauenhaus-Plätze, bundesweit sind es geschätzt sogar 14.000 Plätze. (https://perspektive-online.net/2025/09/berlin-laesst-uns-verrecken-frauen-protestieren-gegen-kuerzungen-von-hilfsangeboten/).

Jede dritte Frau, die von Gewalt betroffen ist, muss in Berlin abgewiesen werden, obwohl es bereits acht Frauenhäuser gibt, die akut Hilfe anbieten, sowie mehrere Träger mit Zufluchtswohnungen wie Paula Panke e.V.

Gewaltschutz ist ein Menschenrecht

Deutschland hat bereits 2011 die Menschenrechtskonvention des Europarates unterzeichnet und sich damit zur Umsetzung der Vorgaben verpflichtet. Der Alternativbericht des Bündnis Istanbul-Konvention (BIK) von 2025 für Deutschland ist allerdings ernüchternd:
„Während die Gewalt gegen Frauen zunimmt, bleibt die Umsetzung der Konvention fragmentiert und unverbindlich. Vor allem intersektionale Defizite und Schutzlücken werden weiterhin nicht ausreichend berücksichtigt. (…) Es braucht einen grundlegenden Paradigmenwechsel von Leuchtturm-, Pilot- und Modellprojekten hin zu flächendeckenden, nachhaltig finanzierten und diskriminierungsfreien Strukturen im Gewaltschutz, welche die gewonnenen Erkenntnisse aufgreifen und umsetzen. (…) Besonders restriktive migrationspolitische Maßnahmen, wie die geplante Umsetzung der GEAS-Reform, drohen den Zugang zum Hilfesystem für geflüchtete und migrierte Gewaltbetroffene weiter einzuschränken.“

Kürzungen im Gleichstellungshaushalt in Berlin erschweren nachhaltigen Gewaltschutz

Die geplanten Kürzungen für 2026 im Berliner Landeshaushalt von 2 % für den Bereich Frauen und Gleichstellung (SenASGIVA) erschweren zusätzlich nachhaltigen Gewaltschutz. Viele Bildungs- und Präventionsangebote fallen dadurch einfach weg, wie das bundesweit einzigartige Projekt der Berliner Initiative gegen Gewalt e.V. (B.I.G.) BIG Prävention. Seit 2006 arbeitet B.I.G. mit Berliner Grundschulen zusammen, um Kinder darin zu stärken, sich bei Gewalt Hilfe zu suchen.

Paula Panke e.V. ist es gelungen, die kostenfreie Rechtsberatung zu retten, die jeden Dienstag sehr stark von Betroffenen in Anspruch genommen wird. Gekürzt werden jedoch Angebote feministischer Organisationen im Bereich Täterarbeit, Sofortberatung Betroffener sowie Workshops zum Empowerment für FLINTA* in Berlin.

„Paula Panke e.V. ist mit seinen beiden Standorten in Pankow und Weissensee seit 30 Jahren ein Ort, an dem beides verbunden wird: Präventions- und Antigewaltarbeit. Das ist etwas Besonderes. Wir müssen aufpassen, dass über den Gewaltschutz nicht die Prävention in den feministischen Organisationen weggespart wird. Das würde nachhaltigen Gewaltschutz verhindern.“, meint Nadja Bungard vom Frauenzentrum Paula Panke.

Denn allein Betroffenen zu helfen, ändert nichts an den Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt. Die liegen im Festhalten an traditionellen Geschlechterrollen, dem Abwerten alles Weiblichen in einer Gesellschaft, die cis weiß männlich als Norm betrachtet, was in gesellschaftlichen Strukturen wie dem Ehegattensplitting, Care und Pay Gap manifestiert sind.

Das neue Gewalthilfegesetz

Das neue Gewalthilfegesetz (GewHG) des Bundes, das im Februar 2025 in Kraft trat, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es schafft einen bundesweiten Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für gewaltbetroffene Frauen und Kinder. Mit dem Gesetz besteht die Aussicht, dass funktionierende Strukturen der Gewalthilfe geschaffen werden, die auch nachhaltig finanziert werden. Abzuwarten bleibt, wie es in Berlin umgesetzt wird.

Ein Gedenkort für Femizide in Pankow

Bei der Lesung mit Gisela Zimmer haben wir über einen dauerhaften Gedenkort für Femizide in Pankow zu schaffen. Ziel ist aufzuklären und zu erinnern – an dem Ort, an dem im April 2022 Zohra Gul von ihrem Ehemann auf offener Straße ermordet wurde, weil sie sich von ihm getrennt hatte.

Text: Nadja Bungard

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