Andrea Newerla und Nadja Bungard unterhalten sich über das Buch "Romantikdiktat" Foto: Paula Panke

Andrea Newerla und Nadja Bungard, Foto: Paula Panke

Lesung: Das Ende des Romantikdiktats mit Andrea Newerla

Text: Nathalie Brand

Wie lieben wir eigentlich und warum? Romantische Beziehungen gelten in unserer Gesellschaft oft als das Nonplusultra, der zentrale Baustein eines glücklichen Lebens. Doch warum ist das so? Warum stellt die romantische Liebe den Standard dar, während andere Beziehungsformen, wie Freundschaften, Wahlfamilien oder gemeinschaftliche Projekte selten die gleiche Aufmerksamkeit bekommen?

Andrea Newerla, Soziologin und Beziehungsberaterin, beschäftigt sich seit 2017 intensiv mit der Intimitätsforschung und hat in ihrem Buch „Das Ende des Romantikdiktats. Warum wir Nähe, Beziehungen und Liebe neu denken sollten” über diese Fragen geschrieben. In ihrem Buch kombiniert sie wissenschaftliche Studien und persönliche Anekdoten, um über Beziehungen und die Normen, die sie prägen, zu schreiben. Am 17. Januar 2025 las sie im Frauenzentrum Paula Panke aus ihrem Buch und sprach mit uns über die romantische Liebesbeziehung.

Die romantische Liebesbeziehung gilt in unserer Gesellschaft als Goldstandard und steht oben auf einem Sockel. Ich sehe meine Arbeit darin, diese Norm von ihrem Sockel zu stoßen.”, schreibt Andrea Newerla.

Das Skript des Romantikdiktats

Der Name ihres Buches „Romantikdiktat“ ist angelehnt an ein Schuldiktat. Laut Newerla versuchen wir die Skripte einer romantischen Liebesbeziehung nachzuerzählen, mit denen wir seit Kindertagen aufgewachsen sind. Romantische Beziehungen werden von einer Vielzahl gesellschaftlicher und kultureller Skripte beeinflusst, wie durch Märchen und Filme. Wir lernen, dass eine romantische Beziehung die höchste Form der Bindung ist, während andere Formen von Nähe, wie Freundschaften, weniger Beachtung finden. Die Soziologin erläutert, wie bereits der Begriff “Single” beinhaltet allein und demnach einsam zu sein, da man in keiner romantischen Beziehung ist und damit nicht der Norm von intimen Beziehungen entspricht. Dabei spiele es laut Nawerla keine Rolle, ob dieser Mensch andere intime Beziehungen habe. Das führt zu einer zentralen Frage des Buches: Warum zählt in unserem gesellschaftlichen Skript fast ausschließlich die romantische Liebe? Warum setzen wir so wenig Vertrauen in andere Formen von Nähe? Nawerla betont:

„Wir müssen viel verlernen, um neu zu lernen, weil wir so darauf gepolt sind, diese romantische Beziehung zu brauchen.“

Politische und gesellschaftliche Aspekte

Die Autorin weist in ihrem Buch darauf hin, wie stark das Konzept der romantischen Beziehung mit gesellschaftlichen und politischen Strukturen verwoben ist. Kapitalistische und staatliche Systeme profitieren von unbezahlter Sorgearbeit in der Kleinfamilie. Modelle wie das Ehegattensplitting fördern romantische Partnerschaften als Standard. Gleichzeitig ignoriert die Forschung häufig alternative Beziehungsmodelle und fokussiert sich auf heteronormative und monogame Beziehungen.

Doch Dating-Apps und neue Formen der Vernetzung machen sichtbar, wie vielfältig Beziehungsentscheidungen sein können. Diese Vielfalt wird jedoch häufig als bedrohlich wahrgenommen, anstatt sie als Chance für neue Wege zu betrachten. Serienmonogamie, hohe Scheidungsraten und der Widerspruch zwischen Bindung und Selbstentfaltung zeigen, dass das traditionelle Konzept nicht mehr zu jedem Lebensentwurf passt. Newerla beschreibt diese Dynamik als „Intimitätskrise“ und schlägt eine Lösung vor: 

“Vielheit an verbindlich-nahen Beziehungen und diese soumzuverteilen, dass die romantische Beziehung nicht mehr die zentrale Rolle einnimmt.”

Perspektiven für neue Beziehungsmodelle

Die Soziologin fordert, dass wir unsere Vorstellungen von Nähe und Intimität neu denken. Sie spricht über die Idee, Beziehungsformen bewusst zu gestalten und sich vom gesellschaftlichen Druck zu lösen. Freundschaften, Wahlfamilien und individuell gestaltete Beziehungen sollten genauso viel Raum bekommen wie romantische Partnerschaften.

„Beziehungsformen können sich ändern, die Bindung muss es aber nicht.“

Ein wichtiger Schritt ist, die Skripte, die unser Handeln prägen, zu hinterfragen und eigene Wege zu gehen. Dabei können heteronormative Paare von der Kommunikation und Offenheit in queeren Beziehungsmodellen lernen, so die Autorin.Sie betont, dass ein wichtiger Schritt wäre, die Nahbeziehungen neu zu strukturieren. Diesem Thema widmet sie ihr nächstes Buch, indem sie mit Menschen spricht, die normabweichende Lebensstile und -formen ausleben.

Miteinander ins Gespräch kommen

Da Andrea Newerla mit ihrem Buch “Romantikdiktat” erreichen möchte, dass Menschen ins Gespräch kommen und​ miteinander über intime Beziehungen sprechen, bot sich nach der Lesung die Gelegenheit, genau dies umzusetzen. In der anschließenden Fragerunde entstand ein inspirierender Austausch. Vielen Dank an jede Einzelne, die ihre Erfahrung mit ihrer romantischen Liebesbeziehung und alternativen Lebensformen mit uns geteilt hat. 

Wer die Lesung verpasst hat, kann sich auf den Workshop am 20. März 2025 freuen. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe wird Andrea Nawerla über die Bedeutung romantischer Beziehungen und innere Glaubenssätze sprechen. Wenn genug Personen Interesse haben, kann sich daraus eine Gruppe bilden, die sich in Zukunft regelmäßig im Frauenzentrum trifft, um sich über Beziehungen auszutauschen.

Andrea Newerla liest aus ihrem Buch "Romantikdiktat" vor. Foto: Paula Panke
Andrea Newerla liest aus ihrem Buch „Das Ende des Romantikdiktats“. Foto: Paula Panke

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