Arbeit von Gisela Stiller, Foto: Gisela Stiller

Die „Jahrhundertfrau“ – in Abend mit der Künstlerin Gisela Stiller

Zur Ausstellung ihrer Werke im Frauenladen Paula kam Gisela Stiller zu einem Gesprächsabend.  Ihre Ausstellung ist dort noch bis zum Frühjahr 2021 zu bewundern. Dr. Helga Adler, eine frühere Leiterin des Frauenzentrums Paula Panke, interviewte sie. Es war eine gut besuchte, sehr lebendige Veranstaltung. Leider konnten wegen der Corona-Auflagen nicht alle Interessierten kommen.

92 Jahre und voller Lebensenergie

Wir waren äußerst beeindruckt von der 92-jährigen Künstlerin, sie strahlte eine große Zufriedenheit, Freundlichkeit und geistige Präsenz aus. Wir waren begeistert von ihrer sprühenden funkelnden Lebensenergie. Noch heute bewegt sich mit dem Fahrrad durch die Stadt. Was ist ihr Geheimnis? So voller Energie und positiver Haltung möchten wir auch gerne im Alter sein, sogar jetzt!

Nie den Humor verlieren

Den ganzen Abend lang war sie hellwach und teilte ihre Erinnerungen mit uns. Und immer wieder sagte sie: „Da hatte ich wieder Glück“, obwohl sie viel Schreckliches gesehen hat. Es wurde uns klar, wie selten es wird und wie wertvoll es ist, noch solche Zeitzeuginnen anzutreffen!
Sie bezeichnete sich als „Jahrhundertmensch“. Sie sagt, dass sie ihren Humor nie verlieren wird, sie sei abgeklärt – vier Gesellschaftssysteme hat sie miterlebt. Allerdings warnt sie davor, dass „die Braunen“ wiederkommen könnten. 

Faschismus – schlimmer als die Hölle

Sie ist 1928 in Nordhausen in Thüringen geboren, hat dort lange gelebt und auch jetzt bestehen Verbindungen dahin. Sie bezeichnet sich als Kind der 30iger Jahre, die sie geprägt hätten. Hinter dem Zaun ihres Hauses war eine Nebenstelle des KZ Buchenwald. Durch den Ort marschierten Zehntausende Kriegsgefangene. Zwangsarbeiter mussten im Berg geheime Waffen produzieren. Alle sahen es und wussten das. Sie war bei den „Jungmädels“, die mit auf den Endsieg hofften. In ihrer Klasse waren fünf Roma, die ermordet wurden. Wenn sie sich daran erinnert, kann sie „heute noch heulen“.

Sie kommt aus einer streng katholischen Familie und hatte als Kind Angst vor der Hölle. Während des Faschismus wurde diese Angst von noch Schlimmerem verdrängt. Im Gespräch ging es viel um diese Zeit und die Zeit nach dem Krieg, Russen und Amerikaner…Die Diskussion war geradezu turbulent.

Die Kunst – ihr drittes Leben

Ihr Vater war Architekt. Bereits als Kind malte und zeichnete sie mit Begeisterung. Ihrer Kunstlehrerin, die ihre Begabung erkannte und förderte, ist sie heute noch sehr dankbar. Sie machte eine Lehre als Buchbinderin und besuchte die Fachschule für Polygrafie. Mit einer anderen Frau zusammen baute sie eine Werkstatt zur Rehabilitation auf und arbeitete dort lange Zeit als Hauptkraft. Mit 60 Jahren ging sie in Rente und sagte: „So, jetzt mache ich etwas ganz anderes – etwas, was ich will!“ Und sie folgte ihrer Leidenschaft für Kunst und fing ihr drittes Leben an. Das kann sie jedem ans Herz legen. Dann kam auch die Zeit der Wende 1989…

Mit 75 Jahren von Thüringen nach Berlin-Weißensee


2003, mit 75 Jahren, wagt sie den Sprung nach Berlin. Entgegen mancher Prognosen fühlt sie sich in Berlin-Weißensee sehr wohl. Sie malt und tanzt und hat ein Netz von Freundschaft und Verwandtschaft um sich herum gewebt. Ihr Kindheitstraum hat sich erfüllt!  Auf unkonventionelle Art bekommt sie an der Volkshochschule eine tolle künstlerische Ausbildung, für die sie sehr dankbar ist. Ihre beiden Mentoren kamen zu unserer Veranstaltung.

Malen – viel Spaß und Sehnsucht

Die Hauptgebiete von Gisela Stiller sind Natur- und Stadtlandschaften. Sie beschäftigt sich auch intensiv mit Aktmalerei. Das kann im Frauenladen Paula ebenfalls bewundert werden. Auch wenn sie heute nicht mehr so viel malen kann, ist es für sie nach wie vor mit viel Spaß und Sehnsucht verbunden. Bei einer Ausstellung über das künstlerische Buch wurden auch ihre handwerklichen Fähigkeiten bestaunt. Sie hat das in ihrem Beruf gelernt und liebt diese Arbeit ebenfalls. Sie verkauft nichts. Sie hat schon viele ihrer Kunstwerke an die ihr lieben Menschen verschenkt und versprochen.

Auf die Frage, ob sie noch einen Traum hätte, was sie gerne malen würde, sagte sie: „Bäume und Vögel, Vögel!“

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