Projektübersichtstafel

Projektübersichtstafel, Foto: Tabea Krone

Tagebuch eines deutsch-russischen Dialogtreffens

Ein Text von Tabea Krone

Auf geht’s nach Istanbul. In den nächsten vier Tagen werde ich, Tabea, auf einem Dialogtreffen russische Aktivist*innen kennenlernen, die in Deutschland, anderswo im Exil oder in Russland leben. Anlass des Treffens sind zum einen die Bemühungen des Vereins OWEN e.V. – der Mobilen Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung, Menschen aus Russland und Deutschland in einen Austausch zu bringen. Zum anderen die Frage, wie wir in Zeiten des Krieges zueinander finden, was uns trennt, was uns eint und wie wir miteinander ins Gespräch kommen. Meine Rolle bei diesem Treffen? Eine von außen schauende, aufmerksame Beobachterin, die persönlich zwar keine Russland-Verbindungen und/oder -Bezüge hat, dafür aber den tiefen Wunsch, mehr über den Zwiespalt von Russ*innen, ihren Wünschen, ihren Ängsten und ihren Hoffnungen zu verstehen. Gleichzeitig habe ich im Rahmen meines Praktikums bei dem feministischen Frauenzentrum Paula Panke die Möglichkeit, als Kooperationspartnerin an dem Projekt „Miteinander Reden“ teilzunehmen.

Über den Wolken

Am Flughafen in Berlin treffe ich das Team um Geschäftsführerin Inga und Gründerin Marina vom Verein Owen. Inga beantwortet mir auch gleich die eine Frage, die sich mir während der gesamten Bahnfahrt zum Flughafen gestellt hat. Ein Austausch zwischen Deutschen und Russ*innen …in der Türkei? Ingas Antwort ist sowohl einleuchtend als auch neu für mich. Russ*innen können nicht hürdenlos in Deutschland einreisen. Ich denke mir, dass sich hier eine mögliche Hürde für Begegnungen zwischen Menschen aus Deutschland und Russland auftut und reiche meinen Boarding Pass über den Priority Check-in. „Have a good flight“. Na dann, Поехали (Auf geht’s).

Wir begegnen uns

Der erste Tag beginnt mit einem ersten aber auch einem zweiten Kennenlernen. Viele der Teilnehmer*innen kennen sich bereits von vorherigen Treffen. Die russischen Aktivist*innen und das Team um Owen e.V. pflegen teilweise seit Jahren intensive Freundschaften oder stehen im engen Kontakt miteinander. Einige Russ*innen sind wie ich zum ersten Mal mit dabei. Begleitend zu diesem Treffen unterstützen uns zwei Übersetzerinnen. So lausche ich mit dem Headset in den Ohren gespannt der ersten Aufgabenstellung nach unserer Begrüßungsrunde. In der Mitte unseres Kreises befinden sich unzählige Materialien und Karten, von denen wir uns jeweils drei Gegenstände aussuchen sollen zu folgenden:

  • Mit was für einem Gefühl bin ich zu diesem Dialogtreffen gekommen
  • was werde ich hier brauchen
  • wie erwarte ich das Treffen wieder zu verlassen.

Es ist berührend zu hören, wie viele in ungeduldiger Erwartung diese drei Tage herbeigesehnt haben, um sich endlich über all die Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede der jeweilige Lebensrealitäten als Russ*in oder als stark Interessierte der russischen Perspektive, auszutauschen. Gleichzeitig wird mir klar, dass für einige die Teilnahme an diesem Dialogtreffen nicht ganz ungefährlich ist. 

Miteinander reden

Da der Tag unter dem Motto steht, in Verbindung miteinander zu treten, wird im zweiten Teil der Veranstaltung in 2-er Gruppen weitergearbeitet. Zuvor sollten wir in der Großgruppe Fragen aufschreiben, die uns bewegen. Speziell zu der Frage, was sich in unserem Leben seit Beginn des Krieges durch Russland auf die Ukraine verändert hat. Bei einem Spaziergang an der Küste Istanbuls haben alle Teilnehmenden nun Zeit, sich genau diesen Fragen zu widmen und sich ein kleines bisschen besser kennenzulernen. Ich spreche mit einer deutsch-russischen Menschenrechtsaktivistin über ihre Arbeit. Die Bestrebungen von ihr und vielen anderen russischen Aktivist*innen für Frieden und ein demokratisches, freies Russland einzustehen sind oft mühselig und gerade in Russland oft gefährlich.  Besonders frustrierend bei ihrem Engagement sei es darüber hinaus, dass selbst engste Familienmitglieder, die noch immer in Russland sind, nicht wahrhaben wollen, dass über Staatsfernsehen und Co. russische Propaganda verbreitet wird. Als wir uns wieder im Plenum zusammenfinden, stellt sich heraus, dass fast jede Person im Raum ein nahestehendes Familienmitglied hat, das die staatliche Propaganda nicht als solche erkennt und sich auch von engsten Vertrauten nicht umstimmen lässt. Es wird deutlich, dass viele der Teilnehmenden unter diesem Zwiespalt von Familie und eigenen Überzeugungen und Werten leiden. Dieser Vormittag zeigt uns allen, wie wichtig, aber auch wie schwer es manchmal ist, miteinander zu reden!

24. Februar 2022

Eine Methode der Bildungsarbeit von OWEN e.V. ist die biographische Arbeit, die bei diesem Treffen die Teilnehmenden ermutigen soll, miteinander in Verbindung zu treten und das Gefühl zu stärken, etwas bewirken zu können. So starten wir in den zweiten Teil des Tages mit einem Zeitstrahl und der Frage: Was hat sich in deinem Leben verändert seit dem 24. Februar 2022: Der Tag, an dem Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann. Viele der russischen Akteur*innen beschreiben dieses Datum als einschneidendes Erlebnis. Kontaktabbrüche mit Freund*innen, teilweise auch aus der Ukraine, Streitigkeiten innerhalb der Familie über Positionen zum Krieg sowie Fluchterlebnisse.

Für die meisten im Raum bedeutet dieser Tag eine gravierende Veränderung hinsichtlich Sicherheit, Arbeitskontext und Privatleben. Die meisten biografischen Ereignisse, die im Laufe des Nachmittags an der Wand festgehalten werden, erzählen erschütternde Erlebnisse. Für mich war dieser Zeitstrahl eine wichtige Erinnerung – daran, dass ich in den letzten Monaten oft die Perspektiven von russischen Akteur*innen ausgeblendet habe. Natürlich gilt bei solchen Ereignissen die volle Solidarität mit der betroffenen Zivilgesellschaft wie in diesem Falle mit den Menschen in der Ukraine, aber dieser Tag hat mir in Erinnerung gerufen, dass Russ*innen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, oder mit dem Krieg nicht einverstanden sind, von der Repression des russischen Staates stark betroffen sind.

Tabea Krone schaut auf das Meer und den Himmel in der Türkei
Tabea Krone in der Türkei, Foto: Tabea Krone

Sehnsucht nach Menschlichkeit

Tag zwei unseres Austausches über Friedensvorstellungen und Möglichkeiten beginnt mit zwei Workshops: Playback-Theater und ein Vortrag über Christa Wolf, Heinrich Böll und Lew Kopelew mit einer der Gründerinnen des Vereins Owen e.V. – Marina Grasse. In dem parallel entstandenen interaktiven Workshop des Playback Theaters nähern wir uns spielerisch in Körperarbeit einzelnen Biografien. Am Ende des Workshops stellen wir sogar schon in kleinen Gruppen kurze Sequenzen zu erzählten Geschichten nach. Als die beiden Gruppen wieder aufeinandertreffen, entsteht ein reger Austausch. An diesem Vormittag kommen viele Emotionen der Teilnehmenden hoch, gefolgt von Ermutigung und eine Art des Kraft-Schöpfens. Die Workshops am Nachmittag beschäftigen sich weiter mit den Themen um Menschlichkeit und Perspektiven – gerade hinsichtlich folgender Generationen.

Unsere Gespräche an diesem Tag reflektieren das eigene Verständnis von Menschlichkeit, von Vorstellungen von Richtig und Falsch und wie schwer es manchmal sein kann, mit Menschen unterschiedlicher Ansichten und Meinungen, gerade im Bezug zur Russland-Thematik, ein Gespräch zu führen und sich auseinanderzusetzen. Der Austausch der Gruppen nach den Workshop-Phasen hätte bis spät in die Nacht weiterlaufen können. Als Abendprogramm führen jedoch die Organisatorinnen des Playback-Theaters weitere biografische Geschichten der Teilnehmer*innen auf. Ein Abend, an dem wir Tränen gelacht, aber auch die eine oder andere Träne vergossen haben. Bei russischen Liedern, die auf der Gitarre von einer der Akteurinnen begleitet werden, lassen wir diesen intensiven Abend ausklingen und ich habe das Gefühl, dass viele der Russ*innen sich mit den Liedern ein Stückchen Last von der Brust singen konnten: Zeit, um aufzuatmen und den Moment zu genießen, der nicht von Gedanken um den Krieg bestimmt ist.

Gemeinsam stark

So schnell verfliegt die Zeit und schon startet Tag drei unseres gemeinsamen Austauschs. Früh morgens Treffen sich die Initiativen der russischen Aktivist*innen und bekommen die Gelegenheit, sich untereinander in einem geschlosseneren Rahmen über ihre Arbeit und Projekte auszutauschen. Anschließend stellt jede Person nach einer kreativen Vorbereitungszeit die eigene Organisation und eigene aktivistische Tätigkeiten vor. So erhalten wir zum Ende unseres Dialogtreffens einen Überblick über die geballte Power und das unglaubliche Engagement und Potential von all denjenigen, die an dieser Reise und an diesem Austausch teilgenommen haben. Auch ich darf einen kleinen Teil zu diesem „who is who“ beitragen und versuche – zum Leidwesen der Übersetzerinnen, so viele Informationen über Paula Panke wie nur möglich in die zweiminütige Vorstellung des gemeinnützigen Vereins zu integrieren. An dieser Stelle noch einmal ein Besonderer Dank an Natalia und Mirka, die all meine Gedanken ins Russische übersetzt haben.

Etwas, das bleibt

Nach türkischem Gebäck und Kaffee finden wir uns ein letztes Mal zusammen und reflektieren die vergangenen Tage. Viele der Teilnehmer*innen sprechen von Empowerment, neuem Lebensmut und dem Schöpfen von Stärke und Hoffnung. Trotz der intensiven Arbeit verspüren alle Teilnehmenden ein Gefühl von Leichtigkeit. Einige teilen mit, dass sie sich gar nicht vorstellen können, die Gruppe nun schon wieder zu verlassen oder Sorge um diejenigen haben, die zurück nach Russland kehren. Wieder andere beschreiben den neu gewonnenen Tatendrang für die eigene Arbeit mit der Gewissheit, mit dem eigenen Handeln nicht alleine zu sein und zu wissen, dass es mehr Menschen gibt, die sich für dieselben Werte und den Frieden einsetzen. Es ist deutlich spürbar, dass die letzten drei Tage enorm bewegt haben -besonders für die Russ*innen einen Ort von Gleichgesinnten geschaffen haben, in dem es möglich war, frei und ohne Angst zu sprechen, zu fühlen und mit allen größeren und kleineren Päckchen die mensch mit sich trägt, da zu sein.

Die Vorfreude auf die Möglichkeit eines erneuten Treffens ist groß, denn allen ist klar: Wir brauchen den Austausch. Wir brauchen es, uns zusammenzufinden, zu diskutieren, den Finger in die Wunde zu legen und gleichzeitig neue Kraft zu schöpfen. Wir brauchen die Gemeinschaft und einen Raum, das auszusprechen was uns im Alltag kaum oder schwer über die Lippen kommt. Wir brauchen Organisationen wie Owen e.V., die solche Treffen möglich machen und sich aller Schwierigkeiten zum Trotz für die Stärkung und Entwicklung von Zivilgesellschaft, Geschlechterdemokratie und Frieden einsetzen. Wir brauchen Menschen wie Dimitri*, Tatjana* und Svetlana*, die sich in ihrem Land und im Exil für dieselben Werte stark machen und an ein friedliches und gerechtes Miteinander glauben. Wir brauchen den Mut, den Willen und die Möglichkeit miteineinder zu reden.

*Namen geändert

Soforthilfe